Schock, Trauer und Entsetzen herrschen in den marmornen Wandelgängen des Raffles Hospitals, als ein Sprecher bestätigt, woran niemand zu denken wagte: "Die Klinik bedauert mitteilen zu müssen, dass Ladan Bijani vor wenigen Minuten gestorben ist." Iraner, Landsleute der Siamesischen Zwillinge, brechen laut in Tränen aus und auch Singapurer, die in der Lobby auf Neuigkeiten warteten, trifft der Tod tief: "Mir bricht das Herz", sagt eine Frau. "Ich habe doch selber zwei Kinder." Wenig später ist die Katastrophe perfekt: Auch den Kampf um das Leben von Laleh verlieren die Ärzte.
Keiner will es wahrhaben
Es schien, als wollte niemand wahrhaben, dass die Zwillinge nicht mehr am Leben sind. Ständig hatte die "Straits Times" als größte Zeitung des tropischen Stadtstaats große Fotos von ihnen gebracht, auf denen sie fröhlich in die Kamera lachten. Immer wieder zeigte der Singapurer Nachrichtensender Channel News Asia die Bilder ihrer letzten Pressekonferenz vor einem Monat, wo sie sich sprachgewandt und mit Witz präsentiert hatten. "Sie meinen, ob wir abgeschrieben haben?" entgegnete Ladan damals auf eine Reporterfrage, ob sich die Situation der Schwestern auf deren Jura-Studium ausgewirkt habe.
Doch zugleich nutzen die Zwillinge die Chance klarzumachen, was ihr vielleicht wichtigstes Ziel im Leben war: eigene Wege zu gehen. "Wir möchten uns endlich anschauen, ohne einen Spiegel nötig zu haben", erklärten sie. "Wir sind zwei komplett verschiedene Individuen, die aneinander gebunden sind. Wir haben unterschiedliche Lebensstile und sehen die Welt auch sehr verschieden." Während Laleh Journalistin werden und in Teheran bleiben wollte, strebte Ladan eine Karriere als Anwältin in ihrer Heimatstadt Shiraz an. Doch mussten sie immer Kompromisse finden: "Wir haben ja keine andere Wahl."
"30 Jahre sind genug"
Um das Risiko des Eingriffs wussten sie, selbst mit Hilfe von Psychologen wurden sie darauf vorbereitet. Noch länger warten und auf Fortschritte in der Medizin hoffen, wollten sie nicht: "30 Jahre sind genug." Als der Termin der spektakulären Operation näher rückte, ließen sie die Öffentlichkeit wissen: "Wir haben keine Angst." Sie seien sicher, in dem Singapurer Neurochirurgen Keith Goh und den Medizinern um ihn "das beste Team" zu haben. "Dr. Goh hat uns von dem hohen Risiko erzählt und uns auf alle Optionen hingewiesen."
Schon im November waren die Zwillinge in Singapur eingetroffen, nach einer jahrelangen Odyssee von Arzt zu Arzt; jeder Mediziner hatte den beispiellosen Eingriff unter Hinweis auf die Gefahren abgelehnt. In Singapur fanden sie indes schnell Freunde, wurden Teil der iranischen Gemeinde auf der Tropeninsel, unternahmen Ausflüge auf die Freizeitinsel Sentosa oder auf die Einkaufsmeile Orchard Road. In der Klinik verbesserten die Schwestern ihr Englisch und verbrachten viel Zeit im Internet, tauschten E-Mails mit Freunden.
Farzaneh Farhadi und ihr Mann Morteza Fooladi hatten von der Familie die weite Reise nach Singapur angetreten, um den Zwillingen beizustehen. Am Montag, als alle noch auf einen erfolgreichen Ausgang der Operation hoffen konnten, hatte Farzaneh Farhadi zwei mit Perlen besetzte Ringe, Halsketten und einen Armbanduhr der Zwillinge vorgezeigt: "Sie haben mich gebeten, auf diese Sachen aufzupassen und sie ihnen zurückzugeben, wenn die Operation vorbei ist."
Frank Brandmaier