Medizinhistorisches Museum Wenn Missbildungen im Glas schwimmen

  • von Britta Hesener
Wasserköpfe, hühnereigroße Gallensteine und deformierte Skelette: Für seine neue Ausstellung hat das Berliner Medizinhistorische Museum seine Präparate-Sammlung um fast das Doppelte auf 1400 Exponate aufgestockt. Schauriger Höhepunkt: in Gläsern konservierte missgebildete Babys.

Stumpf schaut das Baby den Besuchern aus seinem einzigen Auge entgegen. Mitten auf der Stirn prangt es - grau-blau und etwas trübe. Das Zweite fehlt komplett, genauso wie die Nase. Nur ein verloren wirkender Mund verleiht dem Köpfchen noch einen Rest menschlichen Antlitzes. "Zyklop" weist ein weißes Schildchen neben dem Baby den Betrachter darauf hin, womit er es hier zu tun hat: Mit dem konservierten und toten Körper eines missgebildeten Säuglings.

Das "Zyklopen"-Baby ist eines von rund 1400 Präparaten des Medizinhistorischen Museums in Berlin. Für seine neue Dauerausstellung "Dem Leben auf der Spur" hat das Museum, das sich auf dem historischen Gelände des Universitätsklinikums Charité befindet, die bislang 750 Objekte umfassende Sammlung pathologisch-anatomischer Feucht- und Trockenpräparate auf fast das Doppelte aufgestockt - und damit eine Tradition weitergeführt, die vor über hundert Jahren begann.

Offene Rücken und totale Missbildungen

Es war im Jahr 1899, als der weltberühmte Pathologe Rudolf Virchow das "Pathologische Museum" eröffnete und es bis Ende 1901 mit 23.066 Präparaten bestückte. Damals wollte Virchow in Schauvitrinen den Besuchern alle bekannten Erkrankungsformen anschaulich näher bringen. Das Ergebnis glich einem begehbaren Lehrbuch der Medizin. Und auch heute, nachdem der Bestand durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges und einen Dachstuhlbrand vor 50 Jahren deutlich dezimiert wurde, verschaffen die Präparate dem Besucher einen beeindruckenden, bisweilen beängstigenden Einblick in den menschlichen Köper, seine Krankheiten und Missbildungen.

Tiefes Einatmen, betroffenes Schweigen, ein offen ausgesprochenes "krass" - die Reaktionen der Museumsbesucher auf das "Zyklopen"-Baby reichen von Betroffenheit bis zur offen gezeigten Sensationslust. Unberührt bleibt von dem Anblick des Babys keiner. In der hintersten Glasvitrinenreihe auf der dritten Ebene des Museums schwimmt es in einem Glas. Links und rechts von ihm weitere Gläser, in ihnen noch mehr Missbildungen: Säuglinge, deren Hirn durch die Augenhöhlen quillt oder außerhalb des Kopfes an der Schädeldecke hängt. Ein Baby, dem statt Beinen nur ein spitz zulaufender Fleischlappen aus dem Rumpf wächst. Bis zur Unkenntlichkeit entstellte Gesichter, offene Rücken, deformierte Knochen. Ein Babyskelett, auf dessen Schulter wie ein Papagei der Schädel seines mit ihm verwachsenen Zwillings thront. Und dann: Monstrum humanum amorphum - ein vollständig missgebildeter Körper. Das, was da vor den Augen des Betrachters im Glas schwimmt, hat nichts, rein gar nichts Menschliches mehr an sich. Ein sichelförmiger Fleischklumpen, herangewachsen in der Gebärmutter einer Frau.

Medizinhistorisches Museum

Öffnungszeiten

Di, Do, Fr: 10 bis 17 Uhr
Mi: 10 bis 19 Uhr
Sa, So: 10 bis 17 Uhr
Mo geschlossen

Eintrittspreise

Erwachsene: 4 Euro
Ermäßigt: 2 Euro
Gruppen ab 10 Personen: 1,50 Euro
Familienkarte (2 Erwachsene, 3 Jugendliche): 8 Euro

Adresse

Berliner Medizinhistorisches Museum
Charitéplatz 1 (ehemals: Schumannstraße 20/21)
10117 Berlin
Tel.: 030/450536156

In jeder Vitrine eine Krankheit

Die hinterste Glasvitrinenreihe auf Ebene drei ist sicherlich nichts für zartbesaitete Betrachter. Nahezu harmlos wirken dagegen die "Ausstellungsstücke" in den Schaukästen davor. In jeder der geringfügig veränderten Originalvitrinen, die von links und rechts in den Raum hineinragen, wird jeweils ein Organ oder Körperteil und seine möglichen Krankheitsbilder dargestellt. Vorne links im Raum zum Beispiel die Rachitis. Hervorgerufen durch Vitamin-D- und Calcium-Mangel, verformt sie Wirbelsäule, Bein- und Armknochen, wird der Besucher auf einer großen Infotafel neben der Vitrine informiert. In der Vitrine findet sich entsprechendes Anschauungsmaterial: Neben einem zum rechten Winkel verformten Brustkorb steht ein völlig deformiertes Skelett. Seine Unterschenkelknochen biegen sich im unteren Drittel extrem nach außen, die Oberschenkelknochen sitzen wie ein "C" auf dem Knie und die Wirbelsäule schlängelt sich s-förmig durch den Körper. Noch deutlicher lassen sich die Folgen der Rachitis nicht veranschaulichen. Und so setzt sich die medizinische Lehrstunde von Vitrine zu Vitrine fort. In der Arthritis-Vitrine finden sich durch Harnsäurekristallablagen zu Klumpen verformte Finger, in der Darmgeschwüre-Vitrine steht in einem Glasviereck ein aufgerollter Darmwurm und in der Geschlechtskrankheiten-Vitrine hängt ein in Scheiben geschnittener Penis.

Wei ein Gang durchs medizinische Gruselkabinett

Es mutet ein wenig wie ein Gang durch ein medizinisches Gruselkabinett an, wenn man an den Glaskästen des Museums entlang spaziert. Der einzige Unterschied: Vom hühnereigroßen Gallenstein über den Wasserkopf bis hin zum Hirntumor ist hier alles echt. Die präparierten Knochen und Organe wurden in aller Regel Leichnamen entnommen, die im Charité-Institut für Pathologie oder in einer seiner Außenstellen seziert wurden. Über hundert Jahre sind sie zum Teil alt und von Rudolf Virchow noch persönlich angefertigt. Lediglich die Augenkrankheiten im Eingangsraum auf Ebene drei sind aus Wachs modelliert. In vier Neuner-Reihen hängen dort auf dunkelrotem Untergrund von weißen Tüchern umwickelte Wachsgesichter.

Täuschend echt wie in "Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett" lassen sich hier Augenkrankheiten in ihren schlimmsten Ausprägungen betrachten. Und "Madame Tussauds" nicht unähnlich hält sich der pädagogisch-didaktische Nutzen hier in engen Grenzen: Schildcher geben meist nur den lateinischen Name der dargestellten Krankheit preis. Wie und warum die Augenkrankheiten auftreten, bleibt ungeklärt. Ein generelles Manko des ersten Raumes.

Enttäuschende Ebene vier

Auch die Ebene vier der Dauerausstellung enttäuscht ein wenig. Im ersten Raum beherbergen Schaukästen historische Instrumente; Aushänge informieren über die Menschenversuche der NS-Zeit; Infotafeln erzählen von der Entwicklung der Röntgen- und Ultraschallaufnahmen. Beinahe beliebig scheinen hier die Themen zusammengestellt worden zu sein. Ähnliches gilt für den zweiten Raum der Ebene vier. Ein Gebärstuhl aus dem 17. Jahrhundert findet sich hier genauso wie eine eiserne Lunge, ein riesiges zylinderförmiges Gerät, in das einst Menschen gelegt wurden, um sie künstlich zu beatmen.

Nach den missgebildeten Embryonen, den Tumoren und Organen auf Ebene drei, wirkt die nüchterne Museumsatmosphäre auf Ebene vier zwar erleichternd harmlos aber auch vergleichsweise trocken. Zu präsent sind noch die Bilder des "Zyklopen"-Babys, der Missbildungen überhaupt. Fotografieren darf man diese übrigens nicht. Im ganzen Museum herrscht ein striktes Kameraverbot. Doch die Bilder der missgebildeten Babys bleiben auch ohne Fotos noch lange im Kopf haften.

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