Anzeige
Anzeige

Podcast von Nathalie Stüben 30 und süchtig: "Der Alkohol bestimmte meine Gedanken"

Nathalie Stüben "Ohne Alkohol mit Nathalie"
Nathalie Stüben (34) ist Reporterin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In ihrem Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" kommen Menschen zu Wort, die dazu ermutigen, ein Leben ohne Alkohol zu führen.
© Viktoriya Zayika
Nathalie Stüben war jung, erfolgreich – und abhängig von Alkohol. Um die Sucht loszuwerden, ging die damals 30-Jährige einen ungewöhnlichen Weg. Nun will sie anderen Menschen eine Stütze sein – und hat einen Podcast herausgebracht.

Frau Stüben, Anfang Oktober erschien Ihr Podcast, in dem Sie offen über Ihre Alkoholsucht sprechen. Sie leben nun seit gut drei Jahren abstinent. Wie hat sich die Droge in Ihr Leben geschlichen?

Alkohol gehörte immer dazu. Ich habe schon als Kind im Umfeld meiner Eltern gesehen, wie die Menschen Wein getrunken haben – zwar nicht übermäßig, aber Alkohol war immer präsent. In Deutschland leben wir in einer Kultur, in der es normal ist, Alkohol zu trinken. Wenn man anfängt auszugehen und erwachsen zu werden, gehören Bier und Wein einfach dazu. 

Wann haben Sie gemerkt: Ich trinke zu viel und muss umdenken?

Ich hatte immer wieder Momente, in denen klar war: So kann es nicht weitergehen. Aber es ist mir lange gelungen, die wegzuschieben. Ich saß oft vor meinem Rechner und habe gegoogelt: "Habe ich ein Alkoholproblem?" Ja, laut den Tests, die es ja online überall gibt. Aber ich habe das dann einfach nicht geglaubt: "Ich? Ich habe doch kein Alkoholproblem!" Für mich gab es einfach immer gute Gründe, etwas zu trinken. Ich habe mir eingeredet, dann besonders toll schreiben zu können oder besonders kreativ zu sein. Mit 30 Jahren bestimmte der Alkohol meine Gedanken, meinen Alltag und indirekt sogar meine Lebensplanung. Da wurde mir dann endlich bewusst: Ich habe ein Problem, ich muss etwas ändern.

Wie viel haben Sie damals getrunken?

Ich habe nicht täglich getrunken, sondern zuletzt so alle zwei bis vier Tage. Aber dann meistens bis zur Besinnungslosigkeit. Ich habe mit einem Glas angefangen und konnte nicht mehr aufhören. Ich habe nicht so getrunken, dass ich einen konstanten Pegel hatte. Bei mir gab es aber immer wieder diese Totalausfälle, diesen Kontrollverlust, der ja ein Hauptkriterium für psychische Abhängigkeit ist.

Wie haben sich die Abstürze auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Rückblickend muss ich sagen: Ich habe erstaunlich gut funktioniert, nach wie vor Topleistungen abgeliefert. Ich weiß bis heute nicht, wie mir das gelungen ist. Es ist schon Wahnsinn, welche Stärke alkoholabhängige Menschen teilweise entwickeln können. Wie es ihnen zum Beispiel gelingt, trotz Höllenkater morgens aufzustehen und ihre Arbeit zu verrichten. Und dann auch noch zu verstecken, wie schlecht es ihnen geht. Man will ja nicht, dass es jemand bemerkt.

Und Ihre Freunde und Familie? Haben die nichts bemerkt?

Es gab besorgte Kommentare, aber eher, weil ich mich so zurückgezogen habe. Der Kontakt zu Freunden, die nicht trinken, interessierte mich überhaupt nicht mehr. Aber auch zu denen, die tranken, ging ich auf Distanz. Eine Freundin hat kurz nach meinem 30. Geburtstag zu mir gesagt: "Ich kenne niemanden, der so verloren ist wie du." Letztens meinte sie dann mal zu mir, sie habe gespürt, dass etwas im Argen ist, konnte es aber nicht benennen. Im Nachhinein sei ihr alles klar geworden. So ging es vielen. Ich konnte meine Abhängigkeit gut verstecken.

Auf Instagram schreiben Sie, dass Ihre Persönlichkeit durch den Alkohol verkümmert ist. Ein ziemlich hartes Urteil.

Aber so war’s. Ich bin zynisch geworden, abgeklärt, empfindlich und extrem unsicher. Ich war einfach nur unzufrieden. Jeder, der mich kennt, weiß: Ich bin normalerweise eine Frohnatur und gern unter Menschen. Aber durch den Alkohol verändert sich der Blick auf die Welt. Sie wird dunkel.

Hätten Sie sich mehr Unterstützung erhofft?

Nein, die Unterstützung wäre ja theoretisch da gewesen. Sie war auch da, als ich gesagt habe, dass ich ein Problem habe und nicht mehr trinken will. Da waren alle meine Freunde und meine ganze Familie da. Die waren auch froh, dass das Kind endlich einen Namen hatte und dass es mir dann nach und nach immer besser ging.

Es gab eine Art Wendepunkt. Sie schreiben von einem Sommermorgen, an dem Sie beschlossen haben: So geht es nicht weiter. Warum ausgerechnet dieser Tag?

An diesem Morgen bin ich aufgewacht, habe neben mich geschaut und mir gedacht: Wer liegt da neben mir? Wer ist das? Oh Gott, schon wieder irgend so ein Typ. Oh Gott, schon wieder diese Kopfschmerzen. Es erschien alles so sinnlos. Und es erschien schon so lange so sinnlos. An diesem Morgen war ein Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr weitermachen wollte. Meine persönliche Schmerzgrenze war erreicht, obwohl mein Leben noch nicht zusammengebrochen war. Zumindest äußerlich nicht. Innerlich schon.

Haben Sie davor schon versucht, vom Alkohol loszukommen?

Ja, ganz oft. Aber ich habe mir immer nur zeitliche Limits gesetzt wie: Ich versuche jetzt, drei Monate nichts zu trinken. Oder ein halbes Jahr. Mein Ziel war bis zu diesem Morgen nie, ganz aufzuhören. Weil das ja bedeutet hätte, mir einzugestehen, dass ich abhängig bin.

Wie haben Sie den Absprung geschafft?

Ich habe mir Geschichten von Menschen angehört, die ihre Sucht überwunden haben – wann immer es ging. Es gibt viele sehr gute US-amerikanische Podcasts zu genau diesem Thema. Und ich habe mich informiert, vor allem über die soziologischen und medizinischen Hintergründe einer Alkoholsucht. Ich wollte verstehen: Was geht da eigentlich in meinem Kopf ab? Was geht in unserer Gesellschaft ab? So habe ich mir praktisch selbst die Augen geöffnet, was Alkohol ist und welche Rolle er für mich spielte. Aber man muss natürlich auch an sich arbeiten und herausfinden, wer man ist. Und dann den Mut finden, dafür einzustehen. Letztendlich habe ich es aber vor allem durch die ganzen Menschen geschafft, die ihre Geschichte erzählen und mir gezeigt haben, dass es möglich ist, ein Leben ohne Alkohol zu führen.

Sie haben vorhin gesagt, Ihr Leben mit Alkohol war dunkel. Wie ist es jetzt?

Hell. Es ist wunderschön. Es ist einfach wieder lebenswert. Ich rede in meinem Podcast davon, dass ich mich wieder fühle wie das Mädchen von früher. Ich habe Lust auf mein Leben. Ich habe enge, intensive Beziehungen. Ich habe einen Mann kennengelernt, den ich von Herzen liebe – nachdem ich halb München durchgetindert hatte. Wir haben ein Kind und eine unaufgeregte, tiefe Beziehung. Es gibt natürlich immer noch Tage, an denen ich denke: "Boah, meine Tochter hat die ganze Nacht nicht geschlafen, ich habe einen Zehn-Stunden-Arbeitstag vor mir und hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa, ey, ich kann gerade nicht mehr!" Aber selbst diese Tage sind immer noch besser als jeder verkaterte Tag, den ich je erlebt habe. Weil ich einfach wieder lebe.

Der Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" erscheint unter anderem auf Audio Now, der neuen Plattform von RTL Radio Deutschland. Hier können Sie die ersten Folgen hören:

Was sagt Ihr Umfeld dazu, dass Sie nicht mehr trinken? Gerade beim Feiern gibt es schon auch einen gewissen Druck, mit anzustoßen.

Ich habe festgestellt: Die Leute, die darauf beharren, dass man etwas trinken soll, haben meist selbst ein Problem mit Alkohol. Klar, ich halte ihnen dann gewissermaßen den Spiegel vor. Aus meinem Umfeld kamen aber nur positive Reaktionen. Die Bekanntschaften, mit denen ich praktisch nur unterwegs war, weil ich mit ihnen so toll trinken konnte, mit denen habe ich allerdings nichts mehr zu tun. Das Umfeld verändert sich schon. Ich ziehe mittlerweile ganz andere Leute an.

Welche?

Wenn ich heute auf eine Feier gehe, unterhalte ich mich automatisch mit den Leuten, die Yoga machen, die meditieren, die wandern gehen, so was. Früher habe ich blind die Partyhasen gefunden, mit denen ich bis in die Morgenstunden durch die Bars ziehen konnte. Auch für meinen Mann ist Alkohol kein Thema. Der trinkt vielleicht höchstens mal ein Radler in einem halben Jahr. Alkohol spielt also in meinem Umfeld kaum noch eine Rolle.

Woher nehmen Sie die Kraft, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?

Mir haben die US-amerikanischen Podcasts so gut geholfen und ich konnte gar nicht fassen, dass es so etwas nicht auf Deutsch gibt. Da dachte ich mir: Das muss sich dringend ändern. Und wer sollte so etwas machen, wenn nicht ich? Ich arbeite beim Radio, führe gern Interviews und erzähle gern von mir. Aber ich hatte auch lange Bedenken: Wie wirkt sich das auf meine Karriere aus? Was für Konsequenzen könnte das haben? Alkoholabhängigkeit ist hier ja einfach noch ein Riesentabu. Letztendlich war das Bedürfnis, etwas zu verändern aber stärker als meine Sorgen. Ich bin überzeugt davon: Was ich mache, ist richtig und wichtig.

Was würden Sie anderen Betroffenen raten, die auch an dem Punkt stehen und sagen: 'Mensch, eigentlich trinke ich zu viel'.

Hört auf! Jetzt! Sofort! Hört sofort auf. Keine Entschuldigungen mehr, auch wenn diese Woche die beste Freundin heiratet. Auch wenn der Partner weitertrinkt. Aufhören! Und wenn es dann nicht klappt, wieder aufhören. Bis es klappt. Und keine Angst davor haben. Das Leben ohne Alkohol ist keine Qual. Es bedeutet Freiheit. Man denkt immer, wenn man aufhört zu trinken, dass man ein ganzes Leben lang gegen das Verlangen ankämpfen muss. Das ist so ein Schwachsinn. Ich habe nie das Bedürfnis zu trinken. Schon lange nicht mehr. Ich wache einfach nur morgens auf und denke mir: "Danke, dass ich nicht trinken muss. Danke für mein schönes Leben." Ich vermisse den Alkohol keine Sekunde.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel