Die Lehrbuch-Weisheit, wonach "gestandene" Erwachsene kaum Gefahr laufen, erstmals vom Heuschnupfen gepackt zu werden, schien zumindest im Jahr 2004 nicht mehr zu gelten. Mediziner berichteten von vielen über 50-Jährigen mit den klassischen Symptomen der Pollen-Allergie. "Und wir haben hier Fälle von Betroffenen jenseits der 70, die zuvor nie Probleme mit dem Heuschnupfen hatten", sagte die Geschäftsführerin des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (DAAB) in Mönchengladbach, Andrea Wallrafen.
Jeder fünfte Erwachsene hat nach jüngsten Studien eine Allergie gegen die unterschiedlichsten "Erreger" vom Hausstaub bis zum Nickel - mit so stark steigender Tendenz, dass 2010 schon jeder Zweite Allergiker sein könnte. Die Zahl der Erwachsenen mit Heuschnupfen ist in den 90er Jahren laut "Weißbuch Allergie in Deutschland" um 70 Prozent auf jetzt etwa zwölf Millionen Patienten gestiegen.
Besondere Klimabedingungen Frühjahr 2004 hatten die Birkenblüte verzögert, sie aber dafür später um so intensiver "knallen" lassen. So war im April 2004 die Konzentration der Birkenpollen dem DAAB zufolge in der Luft an Rhein und Ruhr fast doppelt so hoch wie im April des Vorjahres.
Als Grund für die längeren Leiden der Heuschnupfler hatten Wissenschaftler die langsame Klimaerwärmung der vergangenen drei Jahrzehnte ausgemacht, wodurch sich die Saison insgesamt in die Länge zieht. Birken blühen heute etwa einen Monat früher als vor einem Jahrzehnt, und auch die Pollenmenge nahm seit Ende der 60er Jahre stetig zu. Besonders Sensible bemerkten einen ersten Juckreiz schon um die Jahreswende, wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie, Prof. Gerhard Schulze- Werninghaus, unlängst in Bochum sagte. Daher sollten Pollen-Messungen viel früher als bisher schon im Januar einsetzen.
Mit dem aus den USA eingeschleppten "Traubenkraut", das sich seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa vermehrt, steht den Heuschnupflern ein neues, bösartiges Allergen ins Haus. Ebenso wollen Experten beobachtet haben, dass Pollen vom Straßenrand sich mit Rußpartikeln aus Dieselmotoren verbinden und dadurch besonders aggressiv wirken. Hierzu liegen dem DAAB aber noch keine gesicherten Erkenntnisse vor.
Sicher sei aber, "dass gerade beim ersten Auftreten einer Pollenallergie ärztlicher Rat unbedingt notwendig ist", rät Andrea Wallrafen allen Neulingen. Ein großes Problem sei die Verunsicherung der Patienten und Ärzte durch die Gesundheitsreform. "Mediziner wissen nicht mehr, was zu verordnen ist", kritisiert die Sprecherin der Patientenbundes DAAB: "Das ist eine Bagatellisierung des Heuschnupfens, der in schlimmen Fällen schnell zum Asthma werden kann."
Von Gerd Korinthenberg/DPA