Bindungsangst Liebe oder Freiheit? Millennials auf der Suche nach dem Glück

Millennials konzentrieren sich oft auf Freundschaften, statt auf Liebesbeziehungen.
Millennials konzentrieren sich oft auf Freundschaften, statt auf Liebesbeziehungen.
© PeopleImages / Getty Images
Millennials wollen sich selbst finden und gelten als äußerst freiheitsliebend. Gleichzeitig sehnen sich viele in der Generation Y aber auch nach Bindung. Wie geht das zusammen?

"Die Beziehungs- und Bindungsunfähigkeit, von der heutzutage so viel geredet wird, ist nichts anderes als das Streben nach universeller Selbstverwirklichung", schreibt Autor Michael Nast in seinem Buch “Generation Beziehungsunfähig". Das war im Jahr 2016. Seitdem gilt die Bindungsangst als eine der prägenden Eigenschaften der Generation Y.

Und wer sich einmal in der Generation der Millennials umsieht, der wird schnell merken: der ausgeprägte Freiheitsdrang ist nach wie vor da. Vielleicht ist er sogar noch größer geworden. Statt sich nur vor den potenziellen Einschränkungen einer Liebesbeziehung zu drücken, setzt sich die Generation zunehmend für mehr Flexibilität im Beruf ein und will die Welt entdecken, statt sesshaft zu werden.

Bindung ja, Freiheit aber auch

Aber komplett auf Bindung verzichten wollen die Menschen, die zwischen 1980 und 1995 geboren sind, dann auch nicht. Sie wollen den ganzen Kuchen: Bindung und Freiheit. 

Und das kann zu einem regelrechten Leben im Zwiespalt führen, wie Beziehungscoachin Carolyn Litzbarski im Gespräch mit dem stern erzählt: "Es gibt große Freiheitsgedanken, die dem menschlichen Bedürfnis nach Bindung entgegenwirken. Das kann dazu führen, dass das in der Lebensplanung ein bisschen kollidiert und zu widersprüchlichem Bindungsverhalten führt."

Widersprüchlich bedeutet in dem Fall, dass sich die Millennials auf der einen Seite zwar einen Partner oder eine Festanstellung wünschen, auf der anderen Seite aber auch Angst haben, durch die Bindung in ihrer persönlichen Weiterentwicklung gebremst zu werden. Dabei muss das kein Widerspruch sein. In einer gesunden Partnerschaft ist es durchaus möglich seinen Freiheitsdrang auszuleben und auch die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. "Dass das nicht geht, ist ein weitverbreiteter und hartnäckiger Irrglaube der Generation Y", sagt Litzbarski, die mit "Beziehung kann ich doch" einen Beziehungsratgeber für die Generation Y geschrieben hat.

Weniger Sex, mehr psychische Probleme

Die Folge: Viele Millennials vermeiden Verbindlichkeiten. Sei es im Liebesleben, im Job oder auch bei der Wahl ihres Wohnortes. Hauskauf? Kinder? Festanstellung auf Lebenszeit? Bloß nicht! Stattdessen tingeln viele Menschen der Generation Y lieber von Job zu Job, hangeln sich von Date zu Date immer an einer festen Beziehung vorbei oder sie reisen in die Ferne, um ja nicht zu lange an einem Wohnort zu verharren. Natürlich gibt es zu all dem auch genügend Gegenbeispiele – aber zumindest eine Tendenz zu dem sprunghaften Verhalten der Millennials lässt sich auch wissenschaftlich belegen.

So kam eine internationale Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov etwa zu dem Schluss, dass die Generation Y im Vergleich zu ihren Vorgängern und Nachfolgern das größte Bedürfnis nach Reisen hat. Während 55 Prozent der Millennials einen Urlaub innerhalb des kommenden Jahres planten, waren es nur 22 Prozent bei der Generation Z und zwölf Prozent der Baby Boomer.

Andere Studien zeigen, dass Millennials weniger Geld für Konsumgüter ausgeben, seltener in ein Eigenheim investieren und öfter den Job wechseln als alle anderen Generationen zuvor. Aber eben auch, dass die Generation Y besonders einsam ist, weniger Sex hat als andere Jahrgänge und anfälliger für psychische Probleme ist. Aber auch das sind am Ende vielleicht nur Symptome des Zeitgeistes, in denen die Generation Y lebt und liebt.

Bitte möglichst unverbindlich

Jede Generation hat so ihre ganz eigenen Herausforderungen, keine Frage. Aber in den letzten 30 bis 40 Jahren sind die Menschen mit zunehmenden Unsicherheiten konfrontiert: Wiedervereinigung, Finanzkrise, Kriege, Pandemien und über all dem schwebt das Damoklesschwert namens Klimakrise. Nicht zu vergessen: Die Aussicht auf Altersarmut und natürlich die Omnipräsenz des Internets.

Millennials träumen auch deshalb immer seltener vom gemütlichen Leben in der Vorstadt, weil es ihnen im Gegensatz zu ihrer Elterngeneration oft gar nicht möglich ist, sich diesen Traum zu erfüllen. Schon vor der Inflation hatte die Generation Y im Vergleich schlechtere finanzielle Möglichkeiten. Eine Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, dass Millennials immer seltener den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen. 

Und das, obwohl der Bildungsstandard der Generation Y im Durchschnitt deutlich höher ist. Allerdings sind Millennials weniger kompromissbereit, wenn es um die Wahl ihres Arbeitsplatzes geht. Mit Forderungen nach langfristigem Homeoffice, einer gelebten Start-up-Kultur und flexibleren Arbeitszeitmodellen hat die Generation den positiven Wandel der Arbeitswelt angetrieben, den nun Generation Z weiterdenkt.

Aber auch hier gibt es Widersprüche: Das Bedürfnis nach einer gesunden Work-Life-Balance und Freiheit trifft auf den Wunsch, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, in der man sich dann selbst verwirklichen kann. Das führt nicht selten dazu, dass Millennials viel ausprobieren, um sich lieber nicht festlegen zu müssen.

Und damit sind wir wieder beim Liebesleben der Generation Y. Carolyn Litzbarski arbeitet in ihrer digitalen Praxis mit vielen Millennials zusammen, die sich eine feste Beziehung wünschen – aber immer wieder scheitern. Stattdessen haben sie viele Dates mit vielen verschiedenen Menschen. Sie beobachtet auch eine Form der Selbstsabotage bei der Generation, wie sie im Gespräch mit dem stern erläutert: "Eine Seite von ihnen sehnt sich nach einer Beziehung und fragt sich jedes Mal, wenn aus einem Date nicht mehr wird, was falsch läuft. Die andere Seite allerdings ist sehr freiheitsliebend und genießt die Vorzüge des Singlelebens in vollen Zügen – und verhindert dann manchmal unbewusst, dass mehr aus der Begegnung werden kann."

Das Leben in Extremen

Die Chancen stehen allerdings gut, dass die Millennials ihrer Selbstsabotage irgendwann auf die Schliche kommen. Denn sie beschäftigen sich so sehr mit ihrem Innenleben, wie keine andere Generation zuvor. Die Tatsache, dass immer offener über Depressionen und andere psychische Erkrankungen gesprochen wird, dass die Welt immer diverser, bunter und toleranter wird und dass das Bewusstsein für den Wert der eigenen Gefühlswelt in der breiten Bevölkerung wächst, haben wir in großen Teilen der Generation Y zu verdanken.

Allerdings trifft das Bewusstsein für mentale Gesundheit nicht selten auf einen ausgeprägten Leistungsgedanken und Konkurrenzdruck, der nicht zuletzt durch Social Media befeuert wird. Hier kommt es vor allem auf die richtige Balance an.

Laut Carolyn Litzbarski wählen viele Millennials stattdessen lieber die Extreme: "Ich kenne viele junge Menschen, die sich bewusst komplett gegen eine Partnerschaft entscheiden und dadurch mehr Zeit und Energie haben, sich ein stabiles Freundschaftsnetz aufzubauen." Ihre Prognose: Es wird in Zukunft immer mehr Menschen geben, die sich für diesen Lebensentwurf entscheiden.

Und das zeigt laut der Sozialpädagogin und systemischen Beraterin ein weiteres Merkmal der Generation, die sich so schwertut mit Verbindlichkeit: "Die Leute wissen, dass sie keinen Partner brauchen, um glücklich und erfolgreich durchs Leben zu gehen. Sie verwirklichen sich stattdessen selbst und bereisen zum Beispiel die Welt, wenn ihnen der Sinn danach steht. Das halte ich für eine sehr positive Entwicklung." 

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