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Ratgeber Alternativmedizin Hilft Lavendel gegen Angst?

Kontrollierte klinische Studien zur Wirkung von Lavendel-Extrakten existieren erst seit einigen Jahren
Kontrollierte klinische Studien zur Wirkung von Lavendel-Extrakten existieren erst seit einigen Jahren
© Colourbox
Lavendel-Präparate werden bei Angstzuständen, Unruhe und Schlafstörungen eingesetzt. Kontrollierte klinische Studien zur Wirksamkeit existieren allerdings erst seit einigen Jahren. Uneingeschränkt zu empfehlen sind die Öle wohl trotzdem nicht.

Lavare ist das lateinische Wort für waschen. Der Name Lavendel leitet sich davon ab, denn seit alters her wurde er wegen seines Dufts als Zusatz beim Waschen verwendet. Zu medizinischen Zwecken ist das aus den Blüten gewonnene Öl ebenfalls seit Jahrhunderten im Einsatz, zum Beispiel äußerlich zur Behandlung von Wunden und Verbrennungen.

Als der französische Chemiker René-Gattefossé sich 1910 bei einer Chemikalienexplosion schwere Verbrennungen zuzog, entwickelte sich ein Wundbrand, den er schließlich durch eine Spülung mit Lavendelöl stoppen konnte. Die Infektion klang erstaunlich rasch ab, was ihn dazu veranlasste, sich eingehender mit solchen Ölen zu befassen. Das war der Ursprung der "Aromatherapie", ein Terminus, den Gattefossé selbst geprägt hat.

Neue Studien

Auch zur oralen Einnahme werden Lavendel-Präparate schon lange bei etlichen Indikationen empfohlen. Die angstlösenden Effekte standen hier im Vordergrund. Erst seit einigen Jahren allerdings existieren kontrollierte klinische Studien zur Wirkung von Lavendel-Extrakten. Eine kleinere Untersuchung erbrachte 2003 ermutigende Ergebnisse bei leichten bis mittelschweren Depressionen. Dann folgten Studien aus England und den USA, die zeigten, dass Kinder wie auch Erwachsene vor Operationen weniger ängstlich waren, wenn sie mit Lavendelöl behandelt worden waren.

Die neuesten Daten kommen aus Deutschland. Dort hat eine Firma die Zulassung für ein verschreibungsfreies Lavendelöl-Präparat erhalten, in dem wirksamkeitsrelevante Stoffe angereichert wurden. Dazu liegen mehrere Studien vor. Eine zeigt, dass es bei "unterschwelligen Angstzuständen" ebenso wirkt wie ein synthetisches Anxiolytikum. An einer anderen Untersuchung nahmen Patienten teil, die an "Unruhe" und Schlafstörung litten. Nach zehn Wochen Therapie ging es 48 Prozent der Patienten besser, die das Lavendel-Präparat geschluckt hatten, aber nur 31 Prozent von jenen, die ein Placebo bekommen hatten.

Nicht gleich zu Medikamenten greifen

Synthetische Angstlöser sind stets mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, einige Patienten können abhängig werden. Bei Lavendel scheint das nicht der Fall zu sein. Ist Lavendelöl bei Angststörungen und Unruhe also eine rundum empfehlenswerte Lösung? Vielleicht nicht uneingeschränkt: Vor dem Griff zu Medikamenten sollte man sich stets fragen, ob es nicht auch ohne geht. Das heißt: die Ursachen der Symptome ermitteln und, falls möglich, beseitigen. Eine Umstellung des Lebensstils mag da häufig schon ausreichen - also mehr Bewegung, bessere Ernährung, weniger Stress, Alkohol und Nikotin.

Schließlich bleibt zu überlegen, ob "unterschwellige Angstzustände" überhaupt behandlungsbedürftige Leiden sind. Die deutschen Hersteller des Extrakts sprechen von "kreisenden Gedanken" und "Unruhe" wie von einer Krankheit. Ich frage mich, ob das nicht ein klassischer Fall einer Medikalisierung eines Normalzustands sein könnte.

Von Edzard Ernst Stern Serie

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