Wer akute Kopf- oder Rückenschmerzen nicht rasch behandelt, riskiert, dass die Beschwerden bleiben. Nach drei bis sechs Monaten können sie in das „Chronische Schmerzsyndrom“ übergehen, das wesentlich schwerer in den Griff zu bekommen. Denn Schmerzen sind gleichsam der Polizeiapparat des Menschen – sie signalisieren Gefahr und der Körper ist darauf programmiert, sie möglichst quälend wahrzunehmen, damit er vor dem Auslöser flieht oder sich eben in Therapie begibt.
Das chronische Schmerzsyndrom kann man sich dementsprechend vorstellen wie einen Polizei-Putsch - andauernde Schmerzen bauen das Nervensystem in ihrem Sinne um und übernehmen die Herrschaft über die Schmerzwahrnehmung im Gehirn. Selbst wenn der Auslöser nicht mehr vorhanden ist, läuft dieser Prozess weiter wie ein Perpetuum mobile.
Bis zu 22 Millionen Deutsche leiden an immer wiederkehrenden Schmerzen - so neueste Zahlen der Deutschen Schmerzgesellschaft aus einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung. Hausärzte wissen oft keine andere Hilfe als Tabletten und Spritzen. Viele Patienten gehen erst gar nicht zum Arzt, sondern schlucken bedenkenlos verschreibungsfreie Medikamente aus der Apotheke. Doch die helfen nicht auf Dauer und lösen – das ist die paradoxe Wirkung dieser Wirkstoffe – selbst Schmerzen aus.
So können Sie selbst aktiv werden
Schmerztherapeuten aber kennen eine Vielzahl anderer Therapiemöglichkeiten. Ein Lehrsatz der Schmerzforschung besagt, dass es sehr wichtig ist, die Patienten zu aktivieren, selbst etwas gegen die Beschwerden zu tun. Sie müssen die Herrschaft über die Steuerung der Schmerzwahrnehmung zurückgewinnen, anstatt sich, ganz ihrer Pein zu ergeben.

Selbst aktiv werden kann man, indem man zum Beispiel Sport oder Biofeedback praktiziert, Achtsamkeitsmeditation erlernt oder eben eine der im Video folgenden Muskelübungen ausführt, die nur zwei bis drei Minuten täglich in Anspruch nehmen. „Muskelverspannungen und Schmerzen gehen fast immer Hand in Hand“, sagt Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin.

Entweder verursachen verhärtete Muskeln Schmerzen, oder aber schmerzgeplagte Menschen nehmen Schonhaltungen ein, was zu Muskelverspannungen führt. Das Wirkprinzip der Übungen ist immer das gleiche: Spannt man die von der Verhärtung betroffenen Muskeln leicht an, führt dies über Reflexe zu ihrer nachfolgenden Entspannung. Wichtig ist dabei, es nie mit der Kraft zu übertreiben – leichter Druck genügt.

Wissenschaftlich gesehen fehlen harte Beweise für die Wirksamkeit von Muskelübungen (ebenso wie bei Biofeedback oder Meditation). Aber das bedeutet zunächst einmal nur, dass sie bisher schlecht untersucht wurden. Und natürlich sollten sie den Arztbesuch nicht ersetzen.
In den Räumen von Gerhard Müller-Schwefes Großpraxis in Göppingen führt Arzthelferin Corinna die wichtigsten Übungen im Video vor.
Mehr zum Thema "Schmerz"
... lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des stern.