»Manche können riechen, wenn der Tod kommt«
Es war ein sonniger Morgen, sieben Uhr. Zum ersten Mal an diesem Tag betrat Pfleger Jörg das Zimmer von Frau Meister. Der übliche Kontrollgang. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Kaltschweißig« sei die 87-Jährige gewesen, und ein besonderer Geruch habe das Zimmer erfüllt. »So süß und säuerlich.« Pfleger Jörg ist vorsichtig. Er sagt nicht: »Ich habe den Tod gerochen.« Er sagt: »Manche können riechen, wenn der Tod kommt.« Fieber hatte die alte Dame nicht. Trotzdem dachte Jörg beim Gang ins nächste Zimmer: »Vielleicht stirbt die Meister heute.«
Der Geruchssinn eines Altenpflegers sollte nicht übermäßig entwickelt sein. So gut eine Station auch geführt sein mag, »Kaltschweißigkeit«, gefüllte Windeln – man hat jetzt welche mit 3,8 Liter Fassungsvermögen entwickelt –, Verschüttetes und Erbrochenes bilden eine Art Dauerdunst im Haus. Da hilft kein Lüften.
Alten- und Pflegeheime sind die Orte, an denen mehr und mehr Menschen in Deutschland ihre letzten Wochen und Monate verbringen. Es gibt kaum Zahlen – weil hierzulande für die Statistiken nur die Todesursache, aber nicht der Ort des Sterbens erfasst wird. Als Forscher um den Mainzer Psychologieprofessor Randolph Ochsmann 1995 wenigstens für Rheinland-Pfalz Daten sammeln wollten, mussten sie tief in die Keller der Gesundheitsämter steigen, um die Leichenschauscheine von rund 20 000 Toten auszuwerten.
Altenwohnheime werden zu Sterbeorten
Danach sterben rund 58 Prozent aller über 70-Jährigen nicht zu Hause, sondern entweder im Krankenhaus (41 Prozent) oder im Altenheim (17 Prozent). Je älter man wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, in einem Heim zu sterben. Das gilt insbesondere für Frauen, die viel seltener zu Hause gepflegt werden als Männer. Jenseits der 90 stirbt jede dritte Frau im Heim und nur noch jede vierte im Krankenhaus. Bis diejenigen, die dieses lesen, so weit sind, wird der Prozentsatz noch höher sein. Denn in den Zeiten der Intensivmedizin dauert das Sterben nicht mehr wenige Wochen wie früher, als die meisten von der »Schwindsucht« oder vom »hitzigen Fieber« dahingerafft wurden. Das Ende nähert sich schleichend über viele Monate, manchmal Jahre. Man lässt den Körper nicht den Weg gehen, den der Geist oft schon genommen hat, wenn Vergesslichkeit zur Demenz geworden ist. Dann bleibt oft nur das Pflegeheim. Zusammen mit den Abgeschobenen aus den Kliniken sammelt sich dort eine Klientel, die immer älter und kränker wird.
»Die Gesellschaft macht die klassischen Altenwohnheime mehr und mehr zu Sterbeorten«, sagt der fränkische Diakoniepfarrer Frank Kittelberger. Das sei im Prinzip nichts Schlechtes, »nur dürfen wir uns dann nicht aufregen, wenn das 3000 Euro und mehr im Monat kostet«.
Am Lebensende wird im reichen Deutschland gegeizt. Als Frau Meister vor vier Jahren einen besonderen Liegerollstuhl benötigte, damit man sie wenigstens ab und zu noch an die frische Luft schieben konnte, lehnte die Krankenkasse eine Kostenübernahme ab. Dieses sei keine medizinische, sondern eine »pflegeerleichternde« Maßnahme, hieß es, also müsse sie im Pflegesatz enthalten sein. Fatalerweise hat die Pflegeversicherung das Leid der Alten verschärft – »Fluch der guten Tat« hat das einmal ein Sozialpolitiker genannt. Seit sie 1995/96 eingeführt wurde, wird scharf zwischen Therapie und Pflege getrennt. Krankenhäuser entlassen Pflegefälle rigoros, oft in erbärmlichem Zustand.
Die Wunde war groß wie eine Hand und so tief, dass die Wirbelsäule durchschimmerte
Krass, aber nicht ungewöhnlich ist das Beispiel des Münchners Michael Nunhofer. Er musste seine 87-jährige Mutter Maria aus dem Krankenhaus nach Hause holen, obwohl an ihrem Rücken noch eine riesige Wunde klaffte. Die war groß wie eine Hand und so tief, dass die Wirbelsäule durchschimmerte: ein eitriges Druckgeschwür, das die alte Dame sich durch Pflegefehler erst geholt hatte. Einen Monat später war sie tot. Die Klinik zahlte 3500 Mark Schmerzensgeld, der Staatsanwalt sah keinen Anlass für ein Verfahren. Untersuchungen an Leichen in Berlin und Hamburg ergaben, dass etwa jeder Achte, der eines natürlichen Todes gestorben war, an solchen Liegedruckgeschwüren gelitten hatte.
»Wen Krankenhäuser einmal abgeschoben haben«, sagt Sterbeforscher Ochsmann, »den nehmen sie nur sehr ungern wieder auf.« Da müsse man schon »mit dem Notarzt tricksen«. Noch immer gibt es in den deutschen Kliniken viel zu wenige Palliativstationen, auf denen Sterbende schmerzmedizinisch betreut werden. Im Dezember 1998 wurde zwar mit großem Trara die Stiftung von zehn Millionen Mark für den ersten deutschen Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Aachener Universität verkündet. Mittlerweile hat zwar die Uni Bonn einen, aber der in Aachen ist bis heute nicht eingerichtet.
Ein Kleincomputer, »Sondomat Plus«, dosiert die Nahrungszufuhr
Ohne die Hilfe einer wirksamen Schmerzmedizin sind die Kräfte auch der gutwilligsten Amateurpfleger irgendwann erschöpft. Nur 40 Prozent halten mit der häuslichen Pflege bis um Tod des Angehörigen durch – gestorben wird meist, oft nach Monaten des Vegetierens, im Krankenhaus oder im Pflegeheim.
Um acht Uhr hatte Pfleger Jörg Frau Meister gewaschen. »Das Gefühl von Sauberkeit bringt manchmal die Wende«, sagt er. Diesmal nicht. Der Bauch der 87-Jährigen blieb aufgedunsen, die Augen traten hervor. Sprechen konnte sie schon lange nicht mehr. Ihre Angehörigen hat sie nicht mehr erkannt. Seit vier Jahren wurde sie künstlich ernährt. Der Vorwurf des Geizens gilt nicht überall. Unter Berufung auf ethische Grundsätze wird für künstliche Ernährung, meist über Schläuche, so genannte PEG-Sonden, die durch die Bauchdecke in den Magen führen, viel Geld ausgegeben. Seriösen Schätzungen zufolge jährlich um die 500 Millionen Euro. Ein Kleincomputer, »Sondomat Plus«, dosiert die Nahrungszufuhr, die Essenszeiten lassen sich einprogrammieren. Aber die Arbeitsersparnis ist in den knappen Personalschlüssel mit eingerechnet. Deshalb kann es sich Pfleger Jörg an diesem Tag wie üblich nicht leisten, bei Frau Meister am Bett sitzen zu bleiben.
Viele sterben in den ersten Monaten. Da bleibt keine Zeit zum Kennenlernen
»Vor 15 Jahren noch«, sagt Pfarrer Kittelberger, »waren von zehn Bewohnern drei gesund, fünf hatten Zipperlein, und nur zwei waren ernstlich krank. Heute hast du zehn Schwerstkranke.« Früher waren die Bewohner bei der Aufnahme ins Heim durchschnittlich 70 Jahre alt, heute sind sie 86. Früher blieben sie ein paar Jahre. Heute sterben viele in den ersten Monaten. Da bleibt keine Zeit zum Kennenlernen. Zudem ist jeder Zweite der rund 1,9 Millionen pflegebedürftigen Alten in Deutschland von Demenz betroffen. Acht von zehn sind inkontinent.
Alles hat sich geändert, nur der Personalschlüssel ist annähernd gleich geblieben. Bis auf die zweite Stelle hinterm Komma ist festgelegt, wie viele Pfleger für wie viele Bewohner angestellt sein müssen. 1 zu 2,56 lautet bestenfalls das momentane Verhältnis. Das sieht auf den ersten Blick gut aus, aber Krankheit, Urlaub und Arbeitszeiten einbezogen, bedeutet es in dem Vorzeigeheim, in dem Frau Meister lag, dass nachts nur drei bis vier Kräfte für 125 Bewohner da sind. »Manche fahren so eine Belegung auch mit zwei Leuten«, sagt der Heimleiter. Dann dürfe allerdings »keiner sterben oder Durchfall haben«. 1999 flog in München ein Haus auf, in dem zwei Nachtwachen für 450 Bewohner zuständig waren.
Dass wegen Personalmangels oft menschenunwürdige Zustände herrschen, ist seit April 2001 amtlich. Da legte der Medizinische Dienst der Kassen dem Bundestag einen Erfahrungsbericht nach über 7500 Pflegeprüfungen vor. Demnach sind »Unterernährung«, »Austrocknung«, »Gesundheitsschädigungen durch Beruhigungsmittel«, »großvolumige Inkontinenzeinlagen, die nicht sachgerecht und gegen den Willen der Pflegebedürftigen eingesetzt und unangemessen lang nicht gewechselt werden«, »Verletzungen der persönlichen Integrität und Würde bis hin zur Freiheitsberaubung« die Regel. Der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek flüchtet sich in schwarzen Humor: »Was ist der Unterschied zwischen Altöl und alten Menschen? Bei der Öl-Entsorgung sind gewisse Standards einzuhalten.«
»Mutter ist schon dankbar, wenn sie einmal die Woche geduscht wird«
Fussek, Diplom-Sozialpädagoge und Vorsitzender eines Pflegevereins, kennt die Szene seit 20 Jahren. In seinem Büro türmen sich die Akten, Handzettel, Zeitungsausschnitte. Ständig klingelt das Telefon. Am anderen Ende sind meist Angehörige oder Altenpfleger, die ihm von haarsträubenden Zuständen in Pflegeheimen berichten. Fussek macht sich Notizen, und manchmal stellt er laut zum Mithören:
»Schon um 17 Uhr ist Nachtruhe. Wir müssen denen Windeln anlegen, weil wir sie mangels Personal nicht mehr zur Toilette führen können.« – »Viele liegen stundenlang in ihrer Soße.«
»Einem, der ruft: ,Bitte auf Toilette?, antworten zu müssen: ,Keine Zeit, Sie haben doch die Windel?, das ist das Schlimmste.«
»Bei den Inkontinenzartikeln werden Provisionen an die Heime gezahlt.«
»Viele Menschen weinen verzweifelt wie kleine Kinder.«
»Viele sind vollkommen ungepflegt, mit unheimlich langen Fußnägeln.«
»Mutter ist schon dankbar, wenn sie einmal die Woche geduscht wird.«
»Wir haben uns unter den Mitarbeitern gegenseitig im üblichen Tempo gefüttert. Es ging nicht, wir konnten nicht so schnell kauen und schlucken.«
»Jetzt habe ich es endlich geschafft, dass sie meiner Mutter den Mund ausspülen. Zum Zähneputzen reicht die Zeit nicht.«
»Bei einem alten Mann, der einen Herzanfall hatte, kam ich fünf Minuten zu spät. Vier Menschen hatten gleichzeitig geläutet. Was sollte ich allein machen?«
Schon »die Umsetzung des Tierschutzgesetzes für Alte wäre traumhaft«
Claus Fussek hat seine Telefonmitschriften in 50 Ordnern gesammelt und gibt die Zitatensammlung des Grauens ab und zu als Buch heraus (Hirsch & Fussek: »Gewalt gegen pflegebedürftige alte Menschen, Berichte von Betroffenen«, 3. Auflage, 11 Euro). Schon »die Umsetzung des Tierschutzgesetzes für Alte wäre traumhaft«, sagt der Pflegevereins-Vorsitzende. Einmal hat er in einem Interview den Chef eines Caritasverbandes gefragt, ob er folgende Minimalstandards in seinen Heimen garantieren könne: »Zu essen und zu trinken im Kau- und Schlucktempo, waschen, anziehen, Gebiss rein, zur Toilette so oft, wie gewollt, einmal am Tag an die frische Luft, beim Sterben die Hand halten.« »Leider nein«, hat der ehrliche Mann geantwortet. Im Kirchenblatt stand dann allerdings: »Wir erfüllen in unseren Häusern natürlich die vorgeschriebenen Vorgaben.«
Um 12.45 Uhr kam der Arzt zu Frau Meister. Er hatte sowieso Visite. Die Ahnung von Pfleger Jörg bestätigte sich. Der Mediziner notierte, dass die »Extremitäten« der 87-Jährigen schon kalt und steif waren, und sagte: »Sie wird bald sterben.« Der Pfleger telefonierte mit den Angehörigen. Die ebenfalls betagten Herrschaften konnten nicht sofort los, das Auto war kaputt. Der Pfleger beruhigte sie, sie müssten »da nicht dabei sein«. Von nun an schaute er »immer wieder bei Frau Meister rein« und streichelte ihr, sooft er Zeit dazu hatte, die kalte Hand. Er meint, wenn es nötig gewesen wäre, wäre er auch bei ihr geblieben. Aber sein Heimleiter sagt, dass das nicht immer ginge.
Je jünger die Todkranken sind, desto wahrscheinlicher kommt das Ende im Krankenhaus. Zwischen 60 und 80 Jahren stirbt mehr als jeder Zweite in einer Klinik. Bei den noch Älteren sinkt der Anteil auf ein Viertel. Erfahrene Heimleiter wie der von Frau Meister vermeiden, dass ihre sterbenden Pfleglinge noch in letzter Sekunde ins Krankenhaus kommen, »weil sie dort nur an Schläuche gehängt werden«.
Nicht verwunderlich, dass über aktive Sterbehilfe nachgedacht wird
Ruth Hoh war früher Krankenschwester. Jetzt ist sie Sozialwissenschaftlerin und schreibt eine Doktorarbeit über den Umgang mit Sterbenden in Kliniken. 80 ihrer früheren Berufsgenossinnen hat sie dazu befragt. Den vorgegebenen Satz »Sterben im Krankenhaus ist für mich ...« ergänzten zwei mit dem Wort »beschissen«, vier mit »unmenschlich«, sieben mit »schrecklich«, neun mit »qualvoll« und »unwürdig«. Nur drei Befragten fiel etwas Positives ein. Und das, obwohl alle genau wussten, wie sie es selbst als Sterbende gern hätten, nämlich »dass meine Wünsche berücksichtigt werden bis zum Schluss«.
Von den überlasteten Ärzten ist keine Hilfe zu erwarten. Sie drücken sich vor dem Sterben. Mit zunehmender Nähe zum Tod werden die Arztkontakte seltener, wie Studien ergaben. Und die Pflegenden im Krankenhaus werden genauso wie im Heim durch Zeitmangel behindert. Ruth Hoh findet es nicht verwunderlich, dass »bei solchen Strukturen laut über aktive Sterbehilfe nachgedacht wird«. Die Situation werde sich angesichts der leeren Gesundheitskassen noch verschlechtern.
Vielleicht wird das Geld auch nur falsch verteilt. Immerhin sind es 17 Milliarden Euro, die die Pflegeversicherung jährlich ins System pumpt. »Rein rechnerisch stehen im deutschen Gesundheitssystem 170.000 Euro für jeden Sterbenden zur Verfügung. Der spürt aber davon nichts«, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung. Für würdevolle Sterbebegleitung werde das Geld jedenfalls nicht ausgegeben.
Um 15 Uhr ungefähr muss Frau Meister gestorben sein
Die gewaltigen Summen wecken viele andere Begehrlichkeiten. Dutzende von Pflegeheimen sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen. Große private Ketten werden an der Börse gehandelt, jede gesparte Pflegekraft erhöht die Dividende. Über Provisionen wird gemunkelt, über stillschweigende Abkommen auf Gegenseitigkeit und Schmiergelder für die Heime von den Sanitäts- und Pflegediensten, von den Katheder- und Windelherstellern, von Apotheken, Ärzten und sogar von Krankenhäusern, deren am Wochenende leer stehende Betten schon mal mit ausgetrockneten Alten aufgefüllt werden. Und natürlich ist es auch den Bestattungsunternehmen nicht egal, wo die 2500 Euro hängen bleiben, die das Bett zur letzten Ruhe mindestens kostet.
Die Produzenten der künstlichen Sondennahrung, vertreten durch den Lobbyverein »Diätverband«, bezahlen gelernte Schwestern, die ihre Produkte in Heimen und Hospitälern vorstellen und einführen. Früher konnte man über die Sonden noch normale pürierte Kost einflößen. Dann wurden Schläuche und Pumpen so eng gemacht, dass sie verstopfen, wenn nicht die flüssige »Astronautenkost« verwendet wird. Angesichts der 100.000 Menschen, die heute schon an Ernährungsschläuchen hängen (Tendenz mit fünf Prozent pro Jahr steigend), hat Contz Hilber, Chefarzt des Kreiskrankenhauses Mühldorf, eine Horrorvision: »Irgendwann gibt es Stationen mit Nahrungsleitungen wie im Kuhstall. Abzweige gehen in jedes Bett, und im Keller steuert alles ein Computer.«
Um 15 Uhr ungefähr muss Frau Meister gestorben sein. Sie war allein. Die Angehörigen haben es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Pfleger Jörg glaubt, er sei nur einen Augenblick zu spät gekommen. »Dieses letzte Aufatmen« habe er leider nicht mehr gehört. Die Gesichtszüge von Frau Meister seien gelöst gewesen, die Augen nicht mehr so hervorgetreten. Allerdings habe er sie »gar nicht richtig zudrücken« können. Im Flur, wo wie immer die Mitbewohner an der Wand entlang saßen, hat er dann eine Kerze und ein Bild von Frau Meister aus besseren Tagen aufgestellt. Aber es war den anderen nicht anzumerken, ob sie etwas davon mitbekommen haben oder nicht.
Georg Wedemeyer
Pflege: Was Angehörige wissen müssen
Wie groß ist das Risiko, pflegebedürftig zu werden?
Im Alter zwischen 60 und 80 Jahren geht es den meisten körperlich noch gut. Nur jeder 28. braucht besondere Pflege. Das ändert sich jenseits der 80 deutlich. Laut Statistik wird dann im Laufe der Zeit rund jeder Dritte zum Pflegefall.
Wer hilft in den ersten Wochen?
Ein Schlaganfall, ein Treppensturz – meist kommt die Pflegebedürftigkeit unerwartet. Erster Ansprechpartner für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist nun die Kranken- bzw. Pflegeversicherung. Sie ist zu umfassender Beratung verpflichtet. Beantragen Sie sofort und formlos »Leistungen aus der Pflegeversicherung«, damit Sie eventuell auch rückwirkend Geld (z. B. für Pflege zu Hause) erhalten.
Wie findet man gute Betreuung?
Nach der Entscheidung, ob die Pflege zu Hause oder stationär stattfinden soll, nehmen Sie sich bei der Suche nach einem ambulanten Pflegedienst oder Heim unbedingt die nötige Zeit. Falls der Hilfsbedürftige im Krankenhaus liegt, sollten Sie sich auch von der Klinik nicht unter Druck setzen lassen. Adressen von Heimen und Diensten gibt es bei den Versicherern, bei den großen Wohlfahrtsverbänden und bei den Gesundheits- und Sozialämtern. Allerdings dürfen diese Stellen offiziell keine Empfehlungen oder Warnungen aussprechen.
Bei Heimbesuchen wird Ihnen meist nur die Schokoladenseite präsentiert. Fallen Sie nicht auf schöne Prospekte herein, sondern nehmen Sie sich mindestens eine Woche Zeit, um durch Nachfragen bei Bekannten oder bei kritischen Hilfsorganisationen (siehe unten) die Spreu vom Weizen zu trennen. Protokollieren Sie all Ihre Anstrengungen, etwas Geeignetes zu finden. Das ist wichtig bei eventuellen rechtlichen Auseinandersetzungen – etwa wenn es um die Erstattung von Krankenhauskosten geht, die während der Zeit der Heimsuche entstanden sind. Wenn Sie sich für einen ambulanten Pflegedienst entscheiden, sollten Sie sich von vornherein schriftlich über Ihre Kündigungsmöglichkeiten einigen.
Wo kann man sich weiter informieren?
1. Bürgertelefon des Bundesgesundheitsministeriums zur Pflegeversicherung
Montag bis Donnerstag, 8 bis 20 Uhr, 0800/1919190 (Nulltarif), www.bmgesundheit.de/bmg-frames
2. BdPV e.V., Bund der Pflegeversicherten, Bundesgeschäftsstelle, Von-Schonebeck-Ring 90, 48161 Münster, www.bund-der-pflegeversicherten.de
3. Die Anschriften aller großen staatlichen Stellen, Versicherungen und Hilfsorganisationen findet man unter folgenden Internetadressen:
www.seniorennetz-erlangen.de/adressen.html
www.seniorennetz-erlangen.de/links.html
4. Anschriften von Pflegeheimen und weitere Informationen:
www.pflegenet.de
5. Bei Beschwerden über unmenschliche Pflege helfen weiter:
Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter (Liste von regionalen Beschwerdetelefonen), Goetheallee 51, 53225 Bonn, Tel.: 0228/636322, Fax: 0228/636331, www.hsm-bonn.de
Forum zur Verbesserung der Situation pflegebedürftiger alter Menschen in Deutschland,
Berengariastr. 5, 82131 Gauting, Tel.: 089/89311054, www.verhungern-im-heim.de
6. Informationen über Hospize:
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, Am Weiherhof 2, 52382 Niederzier, Tel.: 02428/802937, Fax: 0 24 28/80 28 92, www.hospiz.net
Deutsche Hospiz Stiftung, Im Defdahl 5-10, 44141 Dortmund, Tel.: 0231/7380730, Fax: 0231/7380731, www.hospize.de