Rötger Feldmann alias Brösel hockte Anfang der Achtziger in einer norddeutschen Kneipe. Er hatte keine Lust auf seine Lehre bei einem Installateur, keinen Zaster in der Tasche und keine richtige Zukunftsperspektive. Die Sorgen über das Morgen verblassen aber relativ schnell, wenn man mit den Kumpeln Bölkstoff saufen, mit dem selbst getunten Motorrad die Bullen verheizen und auch sonst jede Menge Spaß in der zuhauf vorhandenen Freizeit haben kann. Feldmann schrieb die bei so manchem feuchtfröhlichen Abend erdachten doofen Sprüche einfach auf Bierdeckel und erfand passend dazu die Comic-Figur Werner. Das war fast so etwas wie ein Alter Ego von Brösel, ein langnasiger Biersäufer mit mickrigen drei Haaren auf dem Kopf, der lieber mit dem TÜV stritt und mit den Freunden ein exzessives Trinkgelage abhielt, als einer geregelten Arbeit nachzugehen.
"Wer bremst, hat Angst"
In den Achtzigern war Werner totaler Kult. Jedes Jahr erschien ein neues Buch im A5-Format - erst im Semmel-, dann im Achterbahn-Verlag. Die dicken Schwarten kursierten unter jeder Schulbank und waren im Nu ausgefleddert. Jeder Teenager konnte die aktuellen Sprüche aus den Büchern zitieren. Etwa: "Ein Taucher, der nicht taucht, der taucht nix." Oder: "Wer bremst, hat Angst". Für die Kids von damals war Werner ein voll schräges Kontrastprogramm zur viel zu artigen Micky Maus, sozusagen die erste politisch unkorrekte Revolte gegen das eigene Elternhaus.
Klar ging den Erziehungsberechtigten damals die Muffe, wenn die lieben Kleinen auf einmal derbe Witze rissen, von Arbeit nix wissen wollten und dafür erste Bölkstoff-Partys inszenierten. Doch Werner war stärker als jede elterliche Ermahnung. Jeder wollte selbst lesen, wie genial Werner das völlige Chaos auf einem Marktplatz kommentierte, auf dem ein aus Versehen fallen gelassener Fußball ein völliges Fest der Zerstörung einleitete.
Erfolg auch mit Autorennen
Die immensen Verkäufe der Werner-Bücher machten Feldmann wenn nicht reich, dann doch wenigstens wohlhabend. Vier Kinofilme wurden zwischen 1990 und 2003 gedreht. Es gab T-Shirts, ein eigenes Bier, Bettwäsche mit Werner drauf und immer neue Bücher und sonstige Extras. Jahre lang ging alles gut. Rötger Feldmann konnte sogar einen riesigen Erfolg mit einem realen Rennen erzielen, das er 1988 auf dem Flugplatz Hartenholm inszenierte. Hier trat er im Rahmen eines dreitägigen Musikfestivals auf dem selbst gebastelten Red-Porsche-Killer gegen den roten Porsche eines Freundes an - und verlor. Trotzdem: Das Rennen war ein monströser Erfolg.
Aber: Was so lange steil nach oben fliegt, muss auch wieder nach unten fallen. Seinen ersten Nackenschlag hat Feldmann bekommen, als sein Verlag, die Achterbahn AG, sich an den zu teuer erworbenen Rechten an Harry-Potter-Merchandising-Artikeln verschluckte und Insolvenz anmelden musste. Aus der AG wurde dann eine GmbH, die inzwischen munter weitermacht mit den schrägen kleinen Comic-Büchern anderer Zeichner. Nur Werner ist nicht mehr dabei. Der ist zum Konkurrenten Ehapa umgezogen - also just zu dem Verlag, der die braven Micky-Maus-Heftchen macht. Kann man in einem solchen Umfeld noch einen Comic-Helden produzieren, der rülpst, sich mit der Polizei anlegt und dem hemmungslosen Suff bis zum Augenstillstand huldigt?
Werner ist am Ende
Der 12. Werner-Band "Freie Bahn mit Marzipan" zeigt, dass wir uns mit der Frage gar nicht mehr länger beschäftigen müssen. Leider: Werner ist am Ende. Hatte der Leser schon in den letzten Jahren den im Unterbewusstsein nagenden Eindruck, dass Feldmann nichts wirklich Neues mehr einfällt, so ist Band 12 die finale Bestätigung dafür.
Im neuen Buch kauft sich Herr Günzelsen einen Dubai Supersport V10, einen superschnittigen Superflitzer. Seine Ansage: Derjenige, der es schafft, schneller zu sein als dieses Auto, bekommt es sofort geschenkt. Es kommt, wie es kommen muss. Werner und seine Vasallen schrauben wieder einmal ein neues Motorrad zusammen. Das bekommt dieses Mal gleich zwölf Motoren verpasst, die vorher aus nagelneuen Kettensägen ausgebaut wurden. Werner und seine Kumpels vom Rockerverein nutzen die Blitzerfalle der Freunde in grün, um die maximale Geschwindigkeit ihrer getunten Fortbewegungsmittel zu messen. Das ist denn auch die einzig gute Idee in einem ansonsten faden Buch, das alleine von alten Ideen und dem langsam ausbleichenden Kultstatus der sattsam bekannten Figuren lebt.
Die Geschichte zieht sich völlig gradlinig über mehr als hundert Seiten hinweg, ohne dass der Leser mehr als drei Mal die Mundwinkel zum leichten Grinsen nach oben ziehen kann. "Freie Bahn mit Marzipan" ist ein totes Buch, das einzig und allein dem eigenen Kult huldigt und keine neuen Ideen entwickelt. Wenn der Leser einmal mehr auf die geistig retardierten Polizisten Helmut und Bruno trifft, über den tumben Meister Röhrich stolpert und dem Chef des MC Klappstuhl bei einem seiner gefürchteten Ausbrüche zusieht, dann ist das wie ein Déjà vu vom Déjà vu - nämlich eine Bilderinnerung zu viel.
Brav und behäbig
Rötger Feldmann scheint das zu ahnen. Und so sind die Saufgelage nicht mehr so exzessiv, die Motorrennen nicht mehr so gewaltig und die Sprüche nicht mehr so überzogen inkorrekt wie früher. Alles wirkt brav und behäbig, fast vorsichtig und ängstlich inszeniert. Selbst Werner wird als Figur in eine reine Statistenrolle gedrängt. Er fällt in den Bildern kaum noch auf und drückt sich viel zu oft im Hintergrund herum. Kurzum: Man bekommt hier sehr stark den Eindruck, einen schnell heruntergerissenen Comic von jemandem zu lesen, der ideentechnisch völlig ausgebrannt ist. So gibt es nicht einmal einen einzigen lustigen Werner-Spruch, den man sich merken müsste.
Das Déjà vu vom Déjà vu
Besser wäre es also gewesen, Feldmann hätte den Zeichenstift gleich liegen gelassen. Aber es ging wohl nicht anders. Anfang September soll es am Lausitzring in Brandenburg nämlich eine Neuauflage des Werner-Rennens geben. Hier geht die "Dolmette" aus dem Buch an den Start - eben jenes Vehikel mit den zwölf Kettensägenmotoren, das Werner erfunden hat. Um das Rennen zu promoten, ist das Buch eben unverzichtbar. Doch all diese Aktivitäten und Bemühungen sind nichts anderes mehr als die Stromstöße einer Wiederbelebungsmaschine, die leider völlig vergeblich ihren Dienst tut. Werner ist eine Figur aus dem letzten Jahrtausend. Mit ihrem Anarchocharme und ihren Prollsprüchen hat sie in der heutigen Zeit nichts mehr zu suchen - und das weiß sie auch.
Es wird Zeit für die Enddreißiger, sich von der Kultfigur ihrer Jugend zu verabschieden. Irgendwo in einer Kneipe sitzt vielleicht schon der nächste Hartz-IV-Geschädigte, der aus dem reinen Brass seiner gescheiterten Existenz heraus gerade den legitimen Werner-Nachfolger auf einen Bierdeckel kritzelt. Mit sprudelnden Ideen und frischen Sprüchen. Wir werden ihn mit offenen Armen empfangen.
Carsten Scheibe, DVD-Portal Typemania
Werner 12: Freie Bahn mit Marzipan!
Von Brösel alias Rötger Feldmann
Ehapa Verlag, 128 Seiten, 10 Euro
www.werner-broesel.de