England, anno 1553. Die sechzehnjährige Lady Jane Grey soll Guildford Dudley heiraten, um ihre verwitwete Mutter und die jüngeren Schwestern abzusichern. Darauf hat sie keine Lust, sie will lieber Pflanzenforschung betreiben und Bücher über ihre Erkenntnisse veröffentlichen. Also versucht sie abzuhauen, das klappt nicht, sie wird gegen ihren Willen verheiratet, findet ihren Bräutigam am Altar aber plötzlich doch ganz sexy, sogar, als sie herausfindet, dass er sich tagsüber in ein hübsches Pferd verwandelt. Wenn nur nicht Janes Cousine Mary, die genau wie sie selbst theoretischen Anspruch auf den englischen Thron hat, Menschen, die sich in Tiere verwandeln können, brutal verfolgen ließe…
Hä, was?! Lady Jane Grey, war das nicht die, die im 16. Jahrhundert mal ganz kurz auf dem englischen Thron saß, und nach nur neun Tagen Amtszeit geköpft wurde? Ganz genau. Nur erzählt die Amazon-Serie "My Lade Jane" die Geschichte um die damaligen Ränkespiele der Familie Tudor ein wenig anders, als Historiker sie jahrhundertelang mühsam rekonstruiert haben (von der echten Lady Jane Grey gibt es nicht mal ein Porträtbild).
"My Lady Jane" ist ein postfeministisches Märchen
In der Verfilmung des "New York Times"-Bestsellers des Autorinnen-Trios Cynthia Hand, Jodi Meadows und Brodi Ashton wird das Leben der Neuntagekönigin als popfeministisches Märchen neu erzählt. Idee der Serie ist es, die Geschichte von Lady Jane Grey nicht dem Narrativ von der ultimativen Jungfrau in Nöten zu unterwerfen, die bekannter für ihren Tod als für ihr Leben ist. "Fuck that", heißt es in Eröffnungssequenz, die erklärt, wie es zur Krönung und anschließenden Enthauptung der echten Lady Jane Grey 1554 kam (in aller Kürze: ungeklärte Thronfolge nach dem Ableben Heinrich VIII., der mit den acht Ehefrauen).
Und "fuck that" heißt konkret: Jane, gespielt von Emily Bader, ist in der Serie eine selbstbewusste junge Frau, die sich mit frechen Sprüchen in einer patriarchalen Welt zu behaupten weiß. Ihr bester Kumpel ist Cousin König Edward VI., der glaubt, an Tuberkulose zu sterben, aber in Wirklichkeit von seiner Halbschwester "Bloody" Mary langsam und qualvoll vergiftet wird; und der damalige Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten wird in der Serie zum Kampf zwischen "Ethianern" (die, die sich in Tiere verwanden können) und "Veritianern" (die, die das nicht können) – offensichtlich ein Zugeständnis ans Fantasy-Faible der anvisierten Young-Adult-Zielgruppe.
Kling nach einem wilden Mix aus Historiendrama, Adelssatire und Fanfiction-Schmarrn? Ist es auch. Um den Punkt zu machen, dass man aus heutiger Sicht gar nicht genau wissen könne, wie Lady Jane wirklich tickte, bedient man sich freimütig an den Erfolgsrezepten populärer Kostümfilm-Kracher: Der diverse Cast erinnert an "Bridgerton"; der Poppunk-Soundtrack (Tegan and Sara, Kate Nash, Black Honey!) an Sofia Coppolas "Marie Antoinette"; die ironisch-drastischen Dialoge ("einer Witwe sind wegen Nicht-Befriedigung die Augen explodiert") an den derben Humor von "The Great" über Katharina die Große. Und wie die Enthauptung Janes mit fantastischen Elementen hinausgezögert wird, damit womöglich noch eine zweite Staffel drin ist, das funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie bei "Reign", eine Serie, die seeeehr frei vom Schicksal Maria Stuarts erzählt.
Nonsens mit Verve und Entschlossenheit
Natürlich sind das alles nicht die schlechtesten Vorbilder, um eine erfolgreiche Serie zu konzipieren. Und das Publikum zeigt sich dankbar, "My Lady Jane" stieg immerhin direkt auf Platz zwei der deutschen Amazon-Charts ein. Klar: Historische Kostüme, sexy junge Darsteller, schmissige Dialoge – es sind an sich alle Zutaten vorhanden, um die TV-Korsagen-Leere zwischen zwei "Bridgerton"-Staffeln zu füllen. Nur: So richtig zündet "My Lady Jane" als anti-historische Neuerzählung eines Frauenlebens dann doch nicht. Die unterhaltsame Frage, ob Jane Grey, die als eine der am umfassendsten gebildeten Frauen ihrer Zeit galt, eine gute Königin gewesen wäre, geht in kolossalem Quatsch-TV unter.
Man muss der Serie lassen, dass sie sich mit Verve und Entschlossenheit dem Nonsens hingibt. Aber ganz ehrlich: Alle, die älter als zwölf sind, kommen nicht mehr mit, wenn der Protagonist plötzlich als Hengst davongaloppiert. Im Trailer zur Serie wird diese ganze Storyline übrigens geflissentlich verschwiegen.