Die Liebe zu Naturwissenschaften legte Anna Atkins ihr Vater in die Wiege. John George Children wurde 1822 zum zweiten Leiter der naturhistorischen Sammlung am British Museum berufen. Sein Interesse galt vor allem der Mineralogie und Chemie. Als Anna Atkins heranwuchs, widmete sich die Britin jedoch der Botanik. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte die Botanik zu den wenigen Disziplinen, die in einer männlich dominierten Umwelt auch Frauen als Feld wissenschaftlicher Betätigung offenstand.
1839 wurde Atkins in die gerade gegründete Botanical Society of London aufgenommen, ihr Vater war dort Vizepräsident. Zu dieser Zeit arbeiteten zahlreiche Forscher parallel an Versuchen, die Eindrücke des Lichts auf lichtempfindlichem Material zu fixieren. Eine der entdeckten Methoden war die Kalotypie. Dabei handelt es sich um ein Negativ-Verfahren, d. h. bei der Fotografie entsteht zunächst ein Negativ. Weil die Kalotypie erstmals die Möglichkeit bot, beliebig viele Abzüge zu erzeugen, war dies eine Schlüsseltechnik. Ihr Erfinder heißt William Henry Fox Talbot. Sein Freund John Herschel. Er entwickelte diese Technik weiter und erfand die Cyanotypie.
Die Technik der Cyanotypie
Das Verfahren ist so leicht, dass es zur Freizeitbeschäftigung der Familie Herschel wurde. Benötigt werden nur zwei Chemikalien, die in dunkler Umgebung mit einem Pinsel oder einem Schwamm auf eine Papierunterlage aufzubringen sind. Legt man ein Objekt auf den präparierten Bogen und setzt man beides dem Sonnenlicht aus, zeichnen sich Umrisse des Objekts latent auf dem Blatt ab.
Dadurch entsteht das preußischblaue Pigment, das den unverwechselbaren Hintergrund dieser Kunstwerke bildet. Je länger das Papier der Sonne ausgesetzt wird, desto tiefer färben sich die belichteten Stellen blau, während die abgedeckten Stellen weiß bleiben. So entsteht ein negatives Abbild des Objekts.
Drei Werke innerhalb von zehn Jahren
Herschel ging im Haus von Atkins und ihrem Vater ein und aus. Kein Wunder also, dass die Botanikerin von der neuen Technik erfuhr. Im Oktober 1843 nahm sie ein ambitioniertes Vorhaben in Angriff: die Aufnahme von fotografischen Eindrücken aller britischen Algen und Farnen.
Die Cyanotypie-Fotogramme von Algen und Farnen, die Atkins in den folgenden Jahren anfertigte, waren die ersten Bücher mit Fotografien. Im Oktober 1843 war der erste Teil des Albums British Algae, den sie ihrem Vater widmete, in einer Auflage von etwa 15 Exemplaren fertiggestellt. Über 450 Cyanotypien verschiedener Algen belichtete Atkins für dieses erste Werk. Allein der Umfang dieser Produktion macht sie zur bedeutendsten Anwenderin der Cyanotypie überhaupt.
Bereits im Februar des folgenden Jahres war ein weiterer Teil der British Algae fertiggestellt. Im November 1853 schloss Atkins schließt den dritten und letzten Band des Albums ab.
"Anna Atkins. Cyanotypes" zeigt erstmals vollständig Atkins Werke
Atkins' Album British Algae (1843–1853) sowie das mit ihrer Freundin Anne Dixon angefertigte Buch Cyanotypes of British and Foreign Ferns (1853) sind Werke von außerordentlicher Seltenheit. Der neue Bildband "Anna Atkins. Cyanotypes" zeigt erstmals vollständig diese Werke und präsentiert Atkins wegweisende Technik, botanische Arten fotografisch zu dokumentieren. Die über 550 Cyanotypien stellt Peter Walther in seinen einführenden Essays in den wissenschaftlichen und kunsthistorischen Kontext, um die bahnbrechenden Beiträge einer echten Pionierin zu würdigen.