"Man spricht Deutsch": Autobahn "Ich geb' Gas!"

Von Sven Siedenberg
Keine Tempolimits, weder Staus noch Baustellen - wenn Ausländer an Deutschland denken, haben sie Visionen von Geschwindigkeitsrausch und grenzenlosem Fahrvergnügen. Kein Wunder, dass Autobahn auch als Wort ein weltweiter Exportschlager ist.

Bei dem Wort "Autobahn" bekommen US-Amerikaner, die ihr halbes Leben im Stop-and-Go-Verkehr verbringen, leuchtende Augen. Spricht man das Zauberwort zum Beispiel in der Warteschlange an einer McDrive-Station aus, kann man beobachten, wie sich die Dollarzeichen, die sonst in amerikanischen Augen funkeln, reflexartig in Mercedes-Sterne, Audi-Ringe oder Porsche-Plaketten verwandeln. "What a driving pleasure!" ("Was für ein Fahrvergnügen!") stammeln sie dann, oder "What a fun of driving!" ("Was für ein Fahrspaß!")

"Amerikaner", sagte mein britischer Freund Harry, der einen Aston Martin lenkt und nienimmernicht ein japanisches oder schwedisches Auto besteigen würde, "denken bei Autobahnen an Geschwindigkeitsrausch und Fahrvergnügen. Dass deutsche Autobahnen in Wahrheit mit unzähligen Leichen gepflastert sind, daran denken sie nicht." Es war unklar, ob Harry mit dieser Bemerkung auf die hohe Unfallrate anspielte oder es eher historisch meinte.

Zur Person

Sven Siedenberg lebt und arbeitet als Journalist und Autor in München. Seine Glossen, Kritiken, Reportagen, Porträts und Essays sind unter anderem im Spiegel, stern, Focus sowie in der Zeit, Süddeutschen Zeitung, Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung erschienen. Er hat an zahlreichen Anthologien mitgewirkt und bereits einige Bücher geschrieben, sein neuestes "Besservisser beim Kaffeeklatsching" ist im Heyne Verlag erschienen.

Historisch ist es so, dass die weltweit erste Autobahn, damals noch "Autostraße" genannt, in Deutschland im Jahre 1932 zwischen Bonn und Köln eröffnet und kurz danach von KdF-Wagen - den ersten Volkswagen - und Panzern befahren wurde. Endlose, den Märchenwald zerschneidende Autobahnkilometer folgten, gesäumt von Notrufsäulen, Wickelstationen und Gebetshäusern, verklärt zu deutschen Lebensadern und zur letzten Bastion der Freiheit in einem ansonsten überregulierten Staat. So steht es auch in englischsprachigen Zeitungen: "This is the legendary West German Autobahn, the last bastion of true white-knuckle motoring..." ("Dies ist die legendäre westdeutsche Autobahn, die letzte Bastion des wahren nervenaufreibenden Fahrens...")

Auch Autobahnfahrer stehen im Stau

Autobahnfahrer seien Bleifußpropagandisten, fuhr Harry fort. "Sie drücken auf die Tube, geben Gas, kratzen Kurven und schmettern dabei zackige Lieder." Harry holte tief Luft und intonierte die Autobahnfahrerhymne: "Mein Maserati fährt zweihundertzehn / Schwupp, die Polizei hat‘s nicht geseh'n / Das macht Spaß / Ich geb' Gas, ich geb' Gas". Manchmal aber müssen sogar Autobahnfahrer im Stau stehen, sagte Harry, dann kämen Psychotherapeuten auf Motorrädern vorbeigerauscht und versuchten, die aufgestauten Aggressionen der festsitzenden Fahrer zu dämpfen, mit Butterkeksen und Heißgetränken.

"Schon seltsam", sagte ich, "während die Amerikaner im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihren Tempomat einschalten, kultivieren ausgerechnet die Deutschen im Land der Verbotsschilder das Rasen auf der Überholspur."

"Wie übersetzt man ADAC richtig?", fragte Harry. "Auto-darf-alles-Club."

"Deutschland ist trotz seiner tempolimitfreien Autobahnen vor allem ein Land der Baustellen", sagte ich, "besonders während der Sommerferien. Daran ändert weder der Spruch 'You can be sure it's schnell' etwas, den die Werbeleute von Rover in Anspielung auf die geballte PS-Kraft made in Germany so schön dichteten. Noch die Band Kraftwerk, die mit ihrem Album 'Autobahn' einen Welterfolg feierte.“

"Sogar radelnde Japaner und Türken beneiden euch um die Autobahnen mit den rhythmisch vorbeifliegenden Mittelstreifen", sagte Harry.

Wir tanken nur noch bleifrei

"Mag ja sein", antwortet ich. "Aber wird im Ausland auch hinreichend wahrgenommen, dass wir nur noch bleifrei tanken und total empfindsam sind? Den Klimawandel zum Beispiel spüren wir sehr intensiv." Ich kramte die "New York Times" vom 16. März 2007 hervor und las mit lauter Besserwisserstimme: "Germany's love of speed on the autobahn is colliding with fears about global warming..." ("Deutschlands Leidenschaft für schnelles Fahren auf der Autobahn steht im Widerspruch zu den Ängsten um die globale Erwärmung.")

"Es ist ja kein Zufall, dass 'Waldsterben' und 'Angst' international zwei populäre deutsche Worte sind", sagte ich.

"Ich geb' Gas auch ohne Wald", zischte Harry, und stieg in seinen Aston Martin. Der Motor heulte, die Reifen quietschten. Dann sah ich nur noch eine kleine Staubwolke.

"Autobahn" kennt man im Englischen, Französischen, Japanischen und Türkischen