Das Regime hat ihn zuerst mit Privilegien zu ködern versucht. Als das bei Boualem Sansal nicht half, wurde der Autor in Algerien geächtet. Und seine Frau verlor ihren Job als Lehrerin. Doch der Schriftsteller, der in seinen Romanen mit ätzendem Spott die Zustände in seiner Heimat beschreibt, bleibt unerschrocken. Vor der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche fordert er vom Westen Hilfe für die Demokratiebewegung in Nordafrika.
"Ich bin ziemlich pessimistisch", sagt der 61-jährige Intellektuelle mit dem vollen grauen Haar, das er zu einem Zopf gebunden hat. Die Demokratiebewegung sieht er zwischen den Militärs und den Islamisten - den politischen Pfeilern der Maghreb-Länder - zerrieben. Keine Waffen und kein Geld mehr - nur damit könnten die "Diktaturen" entscheidend geschwächt werden.
Sansal, in einem Bergdorf geboren und in einem Arbeiterviertel von Algier aufgewachsen, war als promovierter Ökonom in leitender Stellung in der algerischen Regierung tätig. Nach dem blutigen Bürgerkrieg und dem wachsenden islamistischen Terror veröffentlicht er 1996 seinen ersten Roman "Der Schwur der Barbaren". Sansal wählt bewusst kein Pseudonym - danach wird er von seinem Posten im Industrieministerium beurlaubt.
Bücher auf dem Index
Wegen kritischer Äußerungen über den algerischen Präsidenten Bouteflika wird er endgültig entlassen. 2006 hat Sansal einen offenen Brief an seine Landsleute veröffentlicht, in dem er über Algerien hinaus eine wahrhaftige Demokratie forderte. In der Folge wurden sämtliche Bücher Sansals in Algerien auf den Index gesetzt.
In Deutschland, dessen Literatur er gut kennt, hat er mit seinem 2008 veröffentlichten Buch "Das Dorf des Deutschen" Aufsehen erregt. In dem Roman entdecken die zwei Söhne einer deutsch-algerischen Familie, die wohl nicht zufällig Schiller heißt, die Nazi-Vergangenheit ihres Vaters. Dieser wird zugleich von der Bevölkerung als Held im algerischen Unabhängigkeitskampf gefeiert. Und Sansal provoziert: Er zieht im Buch eine Parallele zwischen den Hassparolen der Nazis und denen der islamistischen Prediger in den Pariser Vorstädten, wo einer der Söhne landet. Der Massenmord an den Juden ist aus Sansals Sicht in seiner Heimat nie zum Thema geworden.
"Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das freie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen Gesellschaft tritt er gegen jede Form von doktrinärer Verblendung, Terror und politischer Willkür auf", hat der Stiftungsrat den Friedenspreis für den mutigen Autor begründet. Sansal gehört zu den wenigen Intellektuellen, die nicht ins (französische) Exil gegangen sind. Vor kurzem ist in Paris sein neuester Roman "Rue Darwin" herausgekommen. Am Beispiel der Straße in Algier, in der er aufgewachsen ist, erzählt er die traurige Geschichte seines Landes von der Befreiung vom Kolonialismus.
Bücher spielen in Algerien keine große Rolle, wie Sansal feststellt. "Doch die Ideen zirkulieren." Er vergleicht die Situation mit der Dissidenten-Literatur im ehemals kommunistischen Ostblock. Ob er Angst um sein Leben hat? Ja, es gab schon Morddrohungen, sagt er. Doch er hält es mit einem Spruch des marokkanischen Schriftstellers Tahar Ben Jelloun: "Wenn Du sprichst, stirbst Du. Wenn Du nicht sprichst, stirbst Du auch." Dann doch besser gleich sprechen.