Don DeLillo Das Trauma der Türme

Von Andrea Ritter
Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und viel Asche - Don DeLillos Roman "Falling Man" ist ein behutsamer Versuch, das Leben nach dem 11. September in Worte zu fassen.

Die Amerikaner hatten lange gewartet auf diesen Roman. Nicht, weil man unbedingt ein weiteres Buch über den 11. September braucht. Sondern weil es von ihm ist: Don DeLillo. Dem Schriftsteller, der über das Kennedy- Attentat schrieb und über den Kalten Krieg, über mediale Macht und Verschwörungstheorien. Der die Schlagkraft des Terrorismus thematisiert hat, genau wie die Symbolik der Twin Towers. Nebelverhangen prangen sie auf dem Umschlag seines Romans "Unterwelt" - rückblickend erscheint vieles an DeLillos Fiktion geradezu prophetisch. Wenn einer wie er über den 11. September schreibt, dann doch bestimmt eine hellsichtige Betrachtung des großen Ganzen. Das war die Erwartung. Oder die Hoffnung? Don DeLillo hat sich hier jedoch nicht zum Analytiker eines traumatisierten Landes aufgeschwungen.

"Falling Man"

Don DeLillo: "Falling Man", übersetzt von Frank Heibert, Kiepenheuer & Witsch, 304 S., 19,90 Euro

Oder die Hoffnung? Don DeLillo hat sich hier jedoch nicht zum Analytiker eines traumatisierten Landes aufgeschwungen. Fragmentarisch, wie ein Film mit Schnitt und Gegenschnitt, erzählt er von Menschen, die mittendrin stecken im Trauma. Einer von ihnen ist Keith. Knapp entkommt er dem Inferno, irrt durch die Straßen, den Anzug mit Asche überzogen - ein Mann, wie wir ihn von den Fernsehbildern kennen. DeLillo folgt dem Mann und dessen Familie: Er zeigt ihn am Tag des Anschlags, dann wenig später und schließlich, nachdem einige Jahre vergangen sind. Wenn’s draussen Stürmt, wird die Familie zur Schutzhütte - das ist die eine Aussage des Romans.

Ein diffuses Chaos

Interessanter ist da schon die Perspektive von Keiths Sohn: Mit dem Fernglas sucht er den Himmel ab, nach Flugzeugen und nach diesem "Bill Lawton", von dem plötzlich alle reden. Was gestern passiert ist, kann heute noch mal passieren - die Logik des Kindes spiegelt die Angst der Erwachsenen. Die stärkere Seite des Romans zeigt: Dem, was da geschehen ist, kann sich niemand entziehen.Der 11. September ist der einzige Referenzpunkt - im Leben nach dem 11. September. Alles wird neu austariert, alles bekommt eine neue Bedeutung. Erklärungsversuche scheitern, genau wie die Sprache scheitert: Gemeinplätze, Floskeln, Schweigen, sonst nichts. Die Figuren begegnen einander wie Schablonen, jede repräsentiert eine andere Position, mal intellektuell-resolut, mal verzweifelt-wissbegierig.

Das Alte Europa kommt zu Wort und auch die Perspektive der Attentäter. Es gibt Bezüge zum Manifest des Una-Bombers, jenes Mathematikers, der Amerika mit Briefbomben terrorisierte. Es gibt Verweise auf die RAF und eine Person mit dubioser Vergangenheit, über die es heißt: "Vielleicht war er ein Terrorist, aber er war einer von uns (...) gottlos, westlich, weiß." Die fehlenden Türme sind keine Leerstelle mehr, wie DeLillo wenige Monate nach den Anschlägen schrieb. Sie sind ein Schwarzes Loch, das alles einsaugt. Mit den Türmen ist auch das merikanische Selbstverständnis eingestürzt. Eine neue Ordnung gibt es noch nicht. Nur ein diffuses Chaos. Das erzählt der Roman. Nicht mehr und nicht weniger.

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