Seinem legendären Ruf als Schockfilmer, mit Bildern von platzenden Köpfen und ekelerregenden Parasiten, hängt David Cronenberg nicht mehr nach. Der kanadische Kultregisseur, der lange als "Psychoanalytiker des Grauens" galt, ist zahmer und erzählerischer geworden. An diesem Freitag wird er 70 Jahre alt. Im vorigen Sommer brachte er mit "Cosmopolis" den gleichnamigen Bestseller von US-Autor Don DeLillo auf die Leinwand. Mit "Twilight"-Star Robert Pattinson in der Hauptrolle erzählt er die Geschichte eines eiskalten Wall-Street-Spekulanten auf Streifzug durch Manhattan. Fast der gesamte Film spielt in einer Stretchlimousine.
Ein Jahr zuvor ließ sich Cronenberg mit dem Drama "Eine dunkle Begierde" auf Sigmund Freund und Carl Gustav Jung, die Väter der Psychoanalyse, ein. Mit Michael Fassbender und Viggo Mortensen in den Hauptrollen gelang ihm eine vielschichtige Charakterstudie. Der studierte Literatur- und Naturwissenschaftler sagte damals im Gespräch mit der dpa und Vertretern anderer Medien: "Wenn ich einen Film drehe, setze ich den Stoff so um, wie er es verlangt. Meine früheren Filme interessieren mich dabei nicht. Und es macht doch auch Spaß, Erwartungen einmal nicht zu erfüllen."
Cronenbergs frühere Welten kreisten um Sex, Fetischismus und Übergriffe der Technik auf das menschliche Leben. Die Szenarien waren faszinierend, abstoßend und kontrovers. Schon an seinem Spielfilmdebüt "Shivers" ("Parasiten-Mörder") von 1975 schieden sich die Geister. Es wurde von der kanadischen Filmförderungsgesellschaft mitfinanziert. Die Story über phallische Würmer, die Menschen in einer Hochhaussiedlung befallen und sie in sexwütige Mordmaschinen verwandeln, war jedoch keineswegs nach dem Geschmack des Gremiums. Im kanadischen Parlament wurde sogar darüber diskutiert, Cronenberg die staatliche Förderung wieder zu entziehen.
In England verboten, in Cannes gefeiert
Spätestens nach "Scanners" (1980) und der Stephen-King-Verfilmung "Dead Zone - Der Attentäter" (1983) wurde Hollywood auf den Kanadier aufmerksam. Furore machte er 1986 mit dem Remake des Science-Fiction-Thrillers "Die Fliege". Ein genialer Jungforscher (Jeff Goldblum) mutiert nach einem missglückten Gen-Experiment zu einem monströsen Insektenwesen, halb Mensch, halb Fliege. Ekelerregender hatte bis dahin niemand die Schreckensvisionen vom Forschungswahn auf die Leinwand gebannt.
Geteilt waren die Meinungen bei "Crash" (1996), der Verfilmung von J. G. Ballards Roman über eine Gruppe Auto-Erotiker, die aus Verkehrsunfällen und entstellenden Verletzungen ihren sexuellen Kick beziehen. "Abstoßende Pornografie", urteilten einige Kritiker, in England durfte der Film nicht in den Kinos laufen. Gelassener wurde das bei den Filmfestspielen in Cannes gesehen: Für seine "Kühnheit und Originalität" wurde Cronenberg dort mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Bei der Berlinale bekam er 1999 den Silbernen Bären für den Cyber-Thriller "eXistenZ" über die Erfindung eines Computerspiels mit einem Bioport, der die Menschen per Nabelschnur in künstliche Welten versetzt.
Mit dem Rachethriller "A History of Violence" (2005) wandte sich Cronenberg vom Horror ab, setzte aber weiter auf Schrecken und Gewalt. Diese Linie setzte er in "Tödliche Versprechen - Eastern Promises" (2007) über die Russenmafia in London fort. Hauptdarsteller Viggo Mortensen wurde für einen Oscar nominiert. Nach "Cosmopolis" lässt sich Cronenberg noch einmal auf ein Werk des Schriftstellers Don DeLillo ein, diesmal allerdings als Schauspieler. Ende Januar war bekanntgeworden, dass der Regisseur eine Rolle in der geplanten Verfilmung von "The Body Artist" ("Körperzeit") übernimmt. Regisseur Luca Guadagnino ("I Am Love") will dafür auch Isabelle Huppert und Sigourney Weaver vor die Kamera holen.