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Kaufverhalten "Bioprodukte sind kein Luxus"

Shopping hilft die Welt verbessern. Behauptet Autor Fred Grimm in seinem gleichnamigen Buch, das jetzt in einer komplett überarbeiteten Version erschienen ist. Im Interview mit stern.de erklärt Grimm, warum Öko plötzlich schick und Grün tragbar ist und wie bewusster Konsum die Gesellschaft verändern kann.

Herr Grimm, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Shopping hilft die Welt verbessern". Wie soll das funktionieren?

Jeden Tag kaufen wir etwas: Lebensmittel, Haushaltsreiniger, Kosmetikprodukte, Bekleidung... Bei vielen Produkten gibt es heute ökologisch und ethisch sinnvolle Alternativen. Das Buch ist ein Einkaufsführer, der von Ernährung über Mode, Kosmetik, Möbel, Computer bis zur Geldanlage entsprechende Alternativen aufzeigt. Mit unserem Konsumverhalten allein können wir die Welt zwar nicht komplett umkrempeln, aber doch sehr positiv verändern.

Sie verstehen das Buch also als Einkaufshilfe.

Im Prinzip ist es eine Einladung an alle, bei ihren Einkaufsentscheidungen zu berücksichtigen, dass es oft ein umweltschonenderes Produkt der gleichen Art gibt oder Fabrikate, die unter fairen Bedingungen produziert und vertrieben werden. Und im Vergleich zu den späten Siebziger Jahren als ethisch-ökologischer Konsum zum Thema wurde, finden Sie heute viele Bereiche - Mode, Kosmetik, Möbel -, in denen sich Design und Bewusstsein verbinden lassen. Heute können Sie glamourös und trendy sein und trotzdem Verantwortung für die Welt zeigen.

Wie erklären Sie sich, dass "Öko" plötzlich schick ist und "Grün" tragbar?

Da gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen glaube ich, dass immer mehr Menschen sich für die Geschichte der Produkte interessieren, die sie kaufen sollen. Sie wollen wissen, woher das Fleisch auf ihrem Teller kommt, und wie die Kleider hergestellt werden, die sie tragen. Und der drohende Klimawandel hat bei vielen Menschen die Bereitschaft erhöht, in ihrem ganz persönlichen Umfeld etwas dagegen zu tun. Zum zweiten überdenken heute immer mehr Unternehmen ihre Art des Produzierens. Energie und Ressourcen werden immer teurer, da macht es schon allein ökonomisch Sinn, ökologischer zu produzieren und die aufwendigen Transportsysteme zu überdenken. Und dann ist da auch eine ganz neue Generation von jungen Unternehmern und Designern herangewachsen, gerade in Deutschland, die ihr Umweltbewusstsein aus ihrer Kindheit in den Achtzigern mitgenommen hat und nach stilvollen Wegen sucht, Ökologie und Konsum zu verbinden.

Aber nur weil ich Bio-Äpfel kaufe und die dann im Jute-Beutel nach Hause trage, rette ich nicht die Welt.

Wenn das alle machen würde, wäre es doch schon eine schöne Sache, oder? Aber so wie die Jutebeutel heute oft noch aussehen, kann ich verstehen, dass man sich damit nicht so gern auf der Straße zeigt. Ich glaube, man darf das nicht zu verbissen sehen. Der Einzelne wird die Welt nicht retten können. Aber: Wenn es beim Konsum oder in unseren Lebensgewohnheiten Alternativen gibt, dann sehe ich keinen Grund, sie nicht zu nutzen. Es sind ja oft die ganz einfachen Dinge, die viel bringen: mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren, bei der Waschmaschine die Temperatur runterdrehen, zwei T-Shirts aus Ökobaumwolle statt drei aus konventionell angebauter - man muss nicht gleich sein ganzes Leben umschmeißen, wenn man etwas bewirken will.

Zur Person

Der Journalist Fred Grimm lebt in Hamburg. Er arbeitete viele Jahre für den stern, unter anderem als Ressortleiter für die Bereiche Ausland sowie Unterhaltung und Medien. Er war Redaktionsleiter der Computer-Zeitschrift "konrad", Autor bei "Tempo" und "Max". Heute schreibt er für Zeitschriften wie "GQ", "Emma" und "IVY" und entwickelt Magazine und TV-Formate.

Wie begegnen Sie den dem Vorwurf, der Öko-Trend finde nur in den Szene-Bezirken deutscher Großstädte statt?

Das ist so ein Klischee geworden, das ich am Anfang noch sehr amüsiert zur Kenntnis genommen habe. Mittlerweile ärgert es mich. Ich habe vor meinem Bio-Supermarkt noch keinen Porsche Cayenne parken sehen. Und der größte Anbieter von Bio-Lebensmitteln Deutschlands - nach Umsatz gerechnet - ist Aldi. Wenn Sie im vergangenen Frühjahr durch die Fußgängerzonen gegangen sind, dann konnten Sie bei C&A im Schaufenster Bio-Baumwollshorts sehen oder bei H&M die "Organic Cotton"-Kollektion. In dem Moment, in dem sie solche alternativen Produkte bei Discountern oder in großen Kaufhäusern bekommen, kann man nicht mehr ernsthaft behaupten, dass es sich nur um das neue Luxus-Hobby der Besserverdienenden handelt.

Aber glauben Sie nicht trotzdem, dass gerade die Leute, die sich etwas Besseres leisten könnten und auf nichts verzichten wollen, sich mit Bio-Produkten ein "grünes Gewissen" kaufen?

Es gibt auch viele Studenten oder Alleinerziehende, die wirklich nicht besonders viel Geld haben, und trotzdem Bio-Produkte kaufen, weil ihnen die Qualität ihrer Ernährung wichtig ist. Letztlich ist der Preisunterschied bei den einzelnen Produkten auch gar nicht mehr so groß. Ich habe bei Diskussionen erlebt, dass viele Menschen absurde Vorstellungen davon haben, was beispielsweise Bio überhaupt kostet. Eine Frau hat mich mal beschimpft, ich können mir ja vielleicht drei Euro für einen Liter Biomilch leisten, sie aber nicht. Also der Liter, den ich heute bei einem Drogeriemarkt gekauft habe, kostete 1,19 Euro. Beim Discounter kriegen sie den sogar noch günstiger. Natürlich wird sich nicht jeder das italienische Designersofa aus Recyclingmaterialien kaufen können, das man auf der Mailänder Modemesse bestaunen kann. Aber haben Sie schon mal erlebt, dass sich jemand darüber aufregt, dass sich nicht jeder einen Mercedes leisten kann? Ich wünsche mir einfach, dass es in allen Konsumbereichen - von günstig bis teuer, von normal bis superschick - ethisch-ökologisch sinnvolle Alternativen gibt.

Warum kauft man denn ein Bio-Baumwoll-T-Shirt?

Also ich habe mir eines gekauft, weil der Einsatz von hoch giftigen Pestiziden und Insektiziden beim konventionellen Anbau von Baumwolle jährlich tausenden Menschen das Leben kostet. Und weil es gut aussieht, hoffe ich jedenfalls. Die Nachfrage nach umweltfreundlich hergestellter Mode ist stark angestiegen, sonst würde H&M und andere nicht auf diesen Zug aufspringen oder ein Konzern wie adidas plötzlich mit einer "grünen" Sneakers-Kollektion ankommen. Die Sachen müssen heute natürlich auch gut aussehen, nur mit der Botschaft für eine bessre Welt allein verkauft man keine Mode.

Buchtipp

Fred Grimm: Shopping hilft die Welt verbessern. Der andere Einkaufsführer
Mosaik bei Goldmann
480 Seiten, 8,95 Euro

Also ist es egal, ob ich meine Öko-Produkte aus Überzeugung kaufe oder nur, weil ich ein Kleidungsstück schick finde?

Peter Ingwersen, der Kopf hinter dem dänischen Luxusmode-Label "Noir" hat mal verkündet: "Auch grüne Mode muss sexy sein. Meine Kleider kauft niemand, nur weil sie Fairtrade oder Öko sind." Und David Hieatt, Gründer des britischen Ökomodelabels Howie's behauptet: "Die größte Umweltsünde ist, Kleidung herzustellen, die nicht gut aussieht." Man mag das jetzt total oberflächlich finden, aber ich glaube, es hat auch viel zum Erfolg der Biolebensmittel beigetragen, dass es heute in den Geschäften nicht mehr aussieht als müsste man seine Sachen da selber ernten. Wenn sie ethisch-ökologisch korrekte Produkte nicht nur an absolute Hardcore-Grüne verkaufen wollen, müssen sie auch verführen können. Wichtig ist doch, wie die Sachen hergestellt werden und dass unökologische und unsoziale Produktionsweisen endlich verschwinden.

Was sind denn in der Öko-Produktion die Innovationen der heutigen Zeit?

Da gibt es Unmengen. Ich finde es zum Beispiel sehr charmant, dass man bei den Outdoorspezialisten von Patagonia seine - hoffentlich gewaschene - Kunstfaser-Unterwäsche aus Kunstfasern abgeben kann und die dann daraus Fleece-Pullover machen. Die Zukunft gehört solchen geschlossenen Produktionszyklen, gehört dem Recycling und dem sparsamen Einsatz von Ressourcen und Energie.

In welchen Bereichen fehlen Ihnen Öko-Produkte?

Es gibt sehr wenig elektronische Geräte, die aus recyceltem Material hergestellt werden. Es ist doch absurd, dass für den Bau eines Computers genauso viele Rohstoffe und Energie aufgewendet werden wie für den Bau eines Mittelklassewagens. Bei Handys oder Computern würde es sich anbieten, alte Teile für die nächste Produktgeneration wiederzuverwenden. Entsprechende Prototypen gibt es längst, da müssen die Hersteller endlich in die Hufe kommen. Wir müssen nicht jedes neue Handy, nicht jeden Computer von Grund auf neu produzieren.

Aber es gibt ja auch Beispiele für Öko-Produkte, die von den Konsumenten verstoßen wurden.

Da haben Sie völlig Recht. Das berüchtigte Hanfkleid sehen Sie heute nicht mal mehr auf einem Grünen-Parteitag (wobei die sowieso heute so schick aussehen wie früher nur die Abgeordneten von der FDP). Das Drei-Liter-Auto von Volkswagen ist das beste Beispiel für so einen Öko-Flop: Niemand wollte sich hineinsetzen, weil es einfach scheußlich aussah, technisch völlig überfrachtet war und absolut freudlos vermarktet wurde. Spaß, Genuss, ein Schuss Abenteuer und Verrücktheit gehören auch bei ökologisch sinnvollen Produkten dazu, sonst nützt der gute Wille bei den Anbietern nichts.

Wie schneiden die Deutschen in Sachen Umweltbewusstsein eigentlich im Vergleich mit ihren europäischen Nachbarn ab?

Das ist ganz unterschiedlich. In Sachen Mülltrennung - und auch was viele Umwelttechnologien anbelangt, ist Deutschland anderen Ländern ein ganzes Stück voraus. Doch die Briten haben die besseren Angebote in Sachen Ökomode. Die Franzosen haben einfach ein sehr großes Bewusstsein für hochwertige Nahrungsmittel. Sie geben fast ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aus - in Deutschland sind es nur zwölf Prozent! Skandinavier haben ein besseres Steuersystem für umweltschädliche Autos. Und bei so profanen Dingen wie der Kraft-Wärmekopplung im Energiesektor sind uns die Dänen oder Niederländer weit voraus.

Wie kann man den Deutschen beibringen, dass sie mehr darauf achten, was sie konsumieren?

Ich denke gar nicht, dass man es ihnen beibringen muss. Der Ansatz ist mir zu pädagogisch. Es geht vor allem um Transparenz und Information. Wir alle sollten die Möglichkeit bekommen, genau zu erfahren unter welchen Bedingungen die Sachen hergestellt wurden, die wir kaufen und welche Umweltauswirkungen die Produktion hat. Dann können wir selbst entscheiden, was uns die gute Sache wert ist. Im Internet gibt es immer mehr Seiten, auf denen sich die Menschen gegenseitig Tipps geben, wie sie ökologischer leben und einkaufen können. Die Bereitschaft ist da: Bevor das Bio-Siegel eingeführt wurde, wusste kein Mensch, was aus biologischem Anbau war und was nicht. Die Leute waren skeptisch. Inzwischen klebt das sechseckige Siegel auf über 48.000 Produkten und die Nachfrage steigt.

Könnte diese Nachfrage nicht auch bald wieder abnehmen? Immerhin handelt es sich bei Bio auch um einen Trend. Und Trends können bekanntlich so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Natürlich ist es auch ein Trend. Aber ein Trend mit nachhaltigen Auswirkungen. Wenn Modefirmen in großem Stil Biobaumwolle einkaufen, wenn Automobilhersteller umweltfreundlichere Autos bauen, wenn Computerfirmen energiesparender und Ressourcen schonender produzieren oder immer mehr Bauern von konventionellem Anbau auf Bio umstellen, dann sind das Prozesse, die sich nicht mehr so leicht zurückdrehen lassen. Ob sich jemand ein ethisch-ökologisch korrektes Produkt kauft, weil es gerade in Mode ist oder er die Ideologie dahinter schätzt, ist mir persönlich egal. Hauptsache wir fangen irgendwie an so zu kaufen, dass die Umwelt nicht darunter leidet.

Interview: Julia Mäurer

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