@KriegundFreitag "Kann ein Strichmännchen eine Familie ernähren?" "Ja", sagt Künstler Tobias Vogel, "aber bitte schreib Strichmensch"

Zeichner Tobias Vogel sitzt am Laptop und hat seinen Sohn auf den Schultern
Tobias Vogel mit seinem Sohn bei der Arbeit
© Privat
Anfang der Woche teilte der Zeichner Tobias Vogel via Twitter mit, dass er nach der Elternzeit nicht in seinen Brotjob zurückkehren wird, sondern von seiner Kunst leben will. Der Tweet explodierte.

Dieses Jahr hält für jeden von uns Herausforderungen bereit. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, viele Branchen zittern ums Überleben. Um so erstaunlicher ist es, wenn jemand den Mut hat, sich trotzdem auf sein Bauchgefühl zu verlassen und einfach sein Ding zu machen. Tobias Vogel ist Zeichner, 38 Jahre alt, hat einen 20 Monate alten Sohn und will nicht länger Sachbearbeiter in einer Versicherung sein. Seine Arbeiten sind in diversen Büchern erschienen, seine Social-Media-Follower-Zahl liegt bei rund 200.000. Als er via Twitter seine Berufsentscheidung verkündete, brach ein love storm aus. An "Tagen wie diesen" den Mut zu haben, auf Kunst zu setzen, scheint ein Signal der Hoffnung zu sein. Der stern hat den Optimisten aus Bergedorf zu seiner Entscheidung befragt.

Tobias, was hat dich zu dieser Entscheidung veranlasst? 
Ganz profan gesagt die Tatsache, dass es bis zu diesem Punkt sehr gut für mich gelaufen ist. Ich hatte trotz Corona keinen Grund anzunehmen, dass es deutlich schlechter für mich wird. Mein großer Vorteil ist, dass ich kein reiner Bühnenkünstler bin, sondern neben meinen Lesungen in erster Linie Originalbilder, Bücher und Merchandising verkaufe.

Ich hatte schon eine Idee für eine Überschrift, die in etwa lauten könnte: "Mit Strichmännchen reich werden".
Das ist vielleicht das Ziel für in ein paar Jahren, jetzt reicht es zumindest, um davon zu leben. Ich sage übrigens eher Strichmensch als Strichmännchen, aber das kannst du natürlich entscheiden.

Cover
"Schweres Geknitter" von @kriegundfreitag, Lappan Verlag, Cartoons und Foto-Collagen auf 128 Seiten, 14 Euro, hier bestellbar
© Lappan / Hersteller

Hast du feste Auftraggeber?
Ja, zum Beispiel den Radiosender Cosmo, ehemals Funkhaus Europa, für den mache ich wöchentlich einen Cartoon für deren Social-Media-Präsenz. Aber das meiste, was ich verdiene, kommt durch Original-Verkäufe rein. An zweiter Stelle stehen Buchverkäufe und gestern habe ich einen Hinweis auf meinen Steady-Account gepostet und da gab es einiges an Resonanz.

Was ist ein Steady-Account?
Das ist eine Crowdfunding-Plattform, über die sich in erster Linie Kreative finanzieren. Das heißt, die Leute schließen da eine Mitgliedschaft ab und zahlen, in meinem Fall, monatlich zwischen 2,50 und 10 Euro. Je nachdem, wie viel sie spenden möchten oder sich leisten können. Ich biete im Gegenzug die Verlosung eines Originals einmal pro Monat an. Die Bilder gingen in letzter Zeit bei Ebay immerhin für rund 500 Euro weg. Im Moment stehe ich bei Steady bei knapp 900 Euro pro Monat, und das ist erst der Anfang.

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Das ist in Hamburg ja fast die halbe Miete!
So sieht's aus! Da ich mit meiner Frau zusammenwohne, zahle ich auch die halbe Miete.

Arbeitet deine Frau auch, wäre das ein Rettungsanker?
Ja, meine Frau arbeitet auch, aber sie könnte mit ihrem Gehalt niemals die ganze Familie durchbringen.

Hast du vor deiner Entscheidung eine Pro- und Contra-Liste erstellt?
Nicht buchstäblich, aber ich habe schon seit Jahren den Gedanken "Soll ich es tun, soll ich es nicht tun?" hin und her gewälzt. Ich war mir bis zuletzt unsicher und dachte dann aber: Auch die Festanstellung, die ich hatte, ist ja nicht sicher. Es könnte zum Beispiel die Technik so weit voranschreiten, dass sie meine Arbeit als Versicherungs-Sachbearbeiter überflüssig gemacht hätte. Und dann hätte ich vor der gleichen Frage gestanden. Daher dachte ich, wenn es auf beiden Wegen keine Sicherheit gibt, entscheide ich mich doch für das, wofür mein Herz schlägt.

Hast du eine Aufstellung deiner Fixkosten gemacht und anhand derer abgewogen?
Ja, das habe ich tatsächlich und festgestellt, dass es gar nicht so ein großes Wagnis ist. Ich bin aber auch mit einer relativ großen Zuschauerschaft gesegnet. Wenn man alle sozialen Netzwerke zusammennimmt habe ich rund 200.000 Follower. Und das sind sehr, sehr viele Hände, die mich im Zweifelsfall tragen. 

Hat es dich verunsichert, dass dein Tweet so oft gelikt wurde, weil alle die Entscheidung so mutig fanden?
Nein, ganz im Gegenteil, das hat mich eher ermutigt. Ich habe mir vorgestellt, dass es mehr Widerspruch in den Kommentaren gegeben hätte, wenn alle das unvernünftig gefunden hätten. Oder peinlich berührt weitergescrollt, ohne dem Tweet mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber die unfassbare Menge an Likes auf allen Kanälen, auch auf Facebook und Instagram, war für mich eher ein Zeichen, dass es die richtige Entscheidung war.