"Ich werde alt und anders werden, aber in mir wirst Du immer drin bleiben, bis ich sterben und Dich so oder so wiedersehen darf." Das schreibt Freya von Moltke an ihren Mann Helmuth James von Moltke. Seit Monaten sitzt der NS-Widerstandskämpfer im Gefängnis Berlin-Tegel und erwartet seine Hinrichtung. Im Angesicht des Todes entwickelt sich zwischen dem Ehepaar ein intensiver, tief berührender Briefwechsel. Beide empfinden, dass diese Monate des Abschieds die kostbarsten ihrer Ehe sind: "Wir sind wirklich sehr reich und haben, davon bin ich überzeugt, das höchste Glück genossen, was es auf dieser Welt gibt."
Dass wir heute in den Genuss dieses einzigartigen Briefwechsels kommen, gleicht fast einem Wunder. Zu verdanken ist das vor allem einem mutigen Gefängnispfarrer. Unter Einsatz seines Lebens stellte sich Harald Poelchau über Monate als Kurier zur Verfügung. Nach der Hinrichtung ihres Mannes im Januar 1945 versteckte Freya von Moltke die Briefe in einem Bienenstock ihres Gutes Kreisau in Schlesien. Es folgte eine Odyssee über die Schweiz, Südafrika, Deutschland und die USA - die Briefe immer mit im Gepäck. Solange sie lebte, wollte Freya von Moltke keine Veröffentlichung. Sie starb am 1. Januar 2010 im biblischen Alter von beinahe hundert Jahren. Danach entschlossen sich Sohn und Schwiegertochter zur Publikation. "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944 - Januar 1945" erscheinen an diesem Montag im C.H.Beck Verlag.
Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944 - Januar 1945
Von Freya und Helmuth James von Moltke
Herausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke
Verlag: C.H. Beck
Preis: 29,95 Euro
Ein moderner Humanist
"Mein Herz, mein Leben ist vollendet, und ich kann von mir sagen: Er starb alt und lebenssatt", schreibt Helmuth von Moltke mit gerade einmal 37 Jahren. "Lebenssatt" fühlt er sich in dem Wissen, keinen sinnlosen Tod zu sterben. In einem Brief aus dem Gefängnis heißt es: "Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat." Anders als die Verschwörer vom 20. Juli lehnt Moltke eine gewaltsame Lösung ab. Er ist ein Liberaler, ein Humanist und Christ, in seinen politischen Vorstellungen sehr viel moderner, uns näher stehend als viele der Offiziere gegen Hitler.
Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911-2010
Von Frauke Geyken
Verlag: C.H.Beck
Preis: 19,95 Euro
Aus dem Briefwechsel wird deutlich, dass das Paar seine Tapferkeit, innere Stärke und Haltung vor allem aus einem tief empfundenen Christentum schöpft. Ganze Tage verbringt Helmuth im Gefängnis mit der Bibel-Lektüre. Dennoch kennt auch er Momente des Zweifels und der Anfechtung, hofft auf seine Verteidigung. Unermüdlich ist Freya für ihn tätig, unternimmt Bittgesuche, sorgt für die beiden Kinder, unterhält das große Landgut. Trotz aller Bedrückungen und ständiger Todesnähe gibt es auch überraschend idyllische und heitere Momente. Sie berichtet von der Apfelernte und dem Weihnachtsfest: "Wir haben einen ganz wunderhübschen Baum. In ihm hängen außer dem Lametta und weißen Kerzen eine ganze Menge von den kleinsten rotwangigen Äpfeln."
Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert
Von Sylke Tempel
Verlag: Rowohlt Berlin
Preis: 19,95 Euro
Die Liebe eines Ausnahme-Paares
Ob in banalen Alltagsdingen oder existenziellen Fragen, in allem kommt die innige Verbundenheit und Liebe dieses Ausnahme-Paares zum Ausdruck. "Nur wir zusammen sind ein Mensch", schreibt Helmuth von Moltke in einem seiner letzten Briefe.
Unglaubliche 65 Jahre hat Freya Moltke ihren Mann überlebt. Sie wurde "alt und anders", aber die Ideen ihres Mannes hat sie weiter in sich getragen und verbreitet, ohne falschen Märtyrerkult. Mehr über diese lange Lebensspanne nach 1945 erfährt man aus zwei neuen Biografien. Die Historikerin Frauke Geyken und die Politikjournalistin Sylke Tempel zeichnen in ihren Büchern dieses außergewöhnliche Jahrhundertleben nach - von der sorglosen Kindheit Freyas in einer rheinischen Bankiersfamilie bis zu den erfüllten Altersjahren im amerikanischen Vermont. Dabei geht Geyken eher wissenschaftlich-nüchtern, Tempel in ihrem am 1. Februar erscheinenden Buch journalistischer vor. Immer jedoch entsteht das einfühlsame Porträt einer weltzugewandten, erdgebundenen und sehr tüchtigen Frau, genauso wie sich Freya selbst gerne sah.