Literaturnobelpreisträger Günter Grass fühlt sich mit seinem Israel-Gedicht von den Kritikern missverstanden und sieht eine Kampagne gegen sich. "Der Tenor durchgehend ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt", sagte Grass in einem Interview des Norddeutschen Rundfunks (NDR) am Donnerstag. Erste Auszüge wurden in der "Tagesschau" um 17 Uhr gezeigt. Grass sieht seinen Text als Prosagedicht, das in der Tradition der deutschsprachigen Literatur steht.
Auch in der Nachrichtensendung um 20 Uhr sollen Ausschnitte gezeigt werden. Grass wird in den "Tagesthemen" seinen Text vortragen und sich den Fragen des Moderators dazu stellen.
Grass fühlt sich durch Klischees verletzt
Grass hatte am Mittwoch den Text "Was gesagt werden muss" als Gedicht veröffentlicht. Darin heißt es: "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden." Dies hatte eine Welle der Empörung gegen den 84-jährigen Autor ausgelöst.
Grass sagte zu der Kritik: "Es werden alte Klischees bemüht. Und es ist zum Teil ja auch verletzend. Es wird sofort, was ja auch zu vermuten war, mit dem Begriff Antisemitismus gearbeitet." Weiter sagte der Schriftsteller: "Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht und eine Weigerung, auf den Inhalt, die Fragestellungen, die ich hier anführe, überhaupt einzugehen."
Grass betont seine Sympathie für Israel
In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA in seinem Wohnort Behlendorf bei Lübeck sagte Grass am Donnerstag, dass er mit seinem Gedicht dazu aufrufen wollte, dass sowohl Israel als auch Iran ihre Atomanlagen internationaler Kontrolle unterwerfen sollten. Sollte Israel - vermutlich mit konventionellen Bomben und Sprengköpfen – Irans Atomanlagen angreifen, könnte das zum Dritten Weltkrieg führen, warnte Grass.
Der 84-jährige Schriftsteller verwies auf die explosive Lage im Nahen Osten, die sich bei einem Präventivschlag Israels zu einem Flächenbrand ausweiten könne. Präventivschläge seien nicht vertretbar. Dies habe sich beim letzten Irakkrieg gezeigt, bei dem unter dem nachweislich falschen Vorwurf, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, der Krieg begonnen worden sei. Bei Iran sei bisher keine Atombombe oder ein weitreichendes Raketenträgersystem nachgewiesen worden.
Als Fehler bezeichnetes es der Autor, dass in seinem Gedicht von Israel und nicht konkret von Israels Regierung die Rede sei. Er hege große Sympathien für das Land und wünsche, dass es auch in Zukunft Bestand habe.
Netanjahu antwortet Grass
Unterdessen hat sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Wort gemeldet. Die schändliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, einem Regime, das den Holocaust leugnet und damit droht, Israel zu vernichten, sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus", hieß es in einer Mitteilung seines Büros am Donnerstag.
Weiter heißt es in dem Schreiben: "Es ist der Iran, nicht Israel, der eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Welt darstellt. Es ist der Iran, nicht Israel, der anderen Staaten mit der Auslöschung droht. Es ist der Iran, nicht Israel, der Terror-Organisationen unterstützt, die Raketen auf Zivilisten abschießen. Es ist der Iran, nicht Israel, der das iranische Regime beim Massaker am eigenen Volk unterstützt. Es ist der Iran, nicht Israel, der Frauen steinigen und Schwule hängen lässt sowie Millionen seiner eigenen Bevölkerung brutal unterdrückt."
Grass habe sechs Jahrzehnte verschwiegen, dass er Mitglied der Waffen-SS war. Deshalb sei es jetzt nicht überraschend, dass er den einzigen jüdischen Staat zur größten Gefahr des Weltfriedens erkläre und dagegen sei, diesem die Mittel zur Verteidigung zur Verfügung zu stellen, teilte Netanjahu weiter mit. Aber anständige Menschen sollten überall diese ignoranten und abzulehnenden Äußerungen verurteilen, schließt der Text.