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Es ist neun Uhr in der Früh, und eine der besten Rollen des Wiener Burgtheaters kann man gleich hier in der Kantine bewundern: Hinterm Tresen wirbelt Heinzi alias Heinz Geissbüchler herum. Das Wiener Urgestein arbeitet seit fast 20 Jahren hier. Er hat für jeden einen freundlichen Satz: für den hungrigen Beleuchter, den durstigen Bühnenschlosser und die übersensible Diva.
Die Kantine ist das Herz des Theaters. Unablässig pumpt es vor sich hin. Draußen verstrahlt die Fassade Wiener Herrlichkeit. Doch im Innern des Gebäudes rumpelt und rumort es von früh bis spät. Denn diese Kulturturbine hat strengste Verpflichtungen: Es gibt nur einen spielfreien Tag in der Woche. Um den abendlichen Betrieb zu gewährleisten, rotiert hier unablässig eine komplexe Maschinerie.
Ständig wird eine Kulisse an- oder abgeschraubt. Morgens müssen die Reste der Abendvorstellung abgebaut werden, bevor man die Kulissen der anstehenden Probe aufbauen kann. Ist die Probe nachmittags beendet, bleiben nur drei Stunden, um das Bühnenbild für die Abendvorstellung aufzubauen.
Zu dieser Grundbetriebsamkeit kommt noch der stete Probenwahnsinn hinzu. Im hintersten Eck der Kantine sitzt Dramaturgin Anika Steinhoff vor ihrem Rührei. Sie hat wenig geschlafen. Zum Essen kommt sie auch nicht. Zum Einkaufen sowieso nicht. Allein deswegen braucht sie schon diese Kantine.
Steinhoff arbeitet gerade mit dem Intendanten Martin Kušej an einer Inszenierung von Molières "Der Menschenfeind", einer Komödie aus dem Jahre 1666 über die Verlogenheit der höfischen Gesellschaft unter Ludwig XIV. Das Stück birgt eine besondere Schwierigkeit: Die Schauspieler müssen in Versen sprechen, die der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger Ende der 1970er-Jahre mit spitzer Feder perfekt aus dem Französischen ins Deutsche übertragen hat. Aber wer kann heutzutage noch zwei Stunden lang Verse sprechen, ohne zu leiern?