Ein einziges Mal nur verstößt Frank Lucas gegen seine Geschäftsphilosophie, die lautet: Bloß nicht auffallen. Als er, in Nerzmantel und Pelzmütze gewandet, mit der schönsten Frau am Arm und dem besten Platz am Ring den Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Frazier besucht, zieht er die Aufmerksamkeit des Ermittlers Richie Roberts auf sich. Und der hängt sich in dem am 15. November anlaufenden Thriller "American Gangster" fortan wie eine Bulldogge an den ansonsten völlig unauffälligen Gangster.
Das auf einer wahren Geschichte basierende Epos vom Aufstieg und Fall des afroamerikanischen Drogenpaten Frank Lucas entwickelt sich in zwei parallelen Handlungssträngen. Frank, rechte Hand des lokalen Gangsterbosses Bumpy in Harlem, steigt nach dessen Tod im großen Stil ins Drogengeschäft ein. Unter Umgehung von Zwischenhändlern knüpft er mittels eines verschwägerten Vietnamkriegsoldaten direkte Kontakte zu thailändischen Drogenbaronen und überschwemmt den Ostküsten-Markt mit konkurrenzlos billigem, reinem Heroin. Und während er mit seinen fünf Brüdern das Familienunternehmen aufbaut, bildet der bekannt unbestechliche Richie eine Spezialeinheit, um dem Urheber der Drogenseuche auf die Spur zu kommen.
Mit seinem Gangsterdrama hat sich der bald 70-jährige britische Regisseur Ridley Scott, der von "Blade Runner" bis zu "Gladiator" schon viele Lorbeeren gesammelt hat, auf bisher unbekanntes Terrain gewagt und liefert dennoch ein Meisterwerk ab. Scott hat seinen Stoff vollständig im Griff. Nicht nur visuell ist die Inszenierung, die einen wie eine Zeitmaschine in die späten sechziger und siebziger Jahre entführt, ein Genuss. Ganz den Details der Geschichte und ihrer Charaktere vertrauend, verwebt Scott in einem unaufgeregten Erzählrhythmus, mit Eleganz, Präzision und Understatement, die vielen Aspekte und Akteure zu einem spannenden, erkenntnisreichen Verbrechenspanorama.
Unbestechlicher Zausel gegen kriminellen Biedermann
Dabei kommt "American Gangster" besonders mit seiner Vermeidung pathetischer Hahnenkämpfe wie ein Anti-Scorsese-Film daher. Es dauert sogar ziemlich lange, bis Frank zum ersten Mal auf Richies Radar auftaucht. Der leicht verzauselte Richie - eine weitere Glanznummer von Russell Crowe - ist eine Legende im korrupten Drogendezernat, seit er einen Geldhaufen von einer Million Dollar ordnungsgemäß abgeliefert hat. Doch er schert sich nicht um die Feindseligkeit seiner Kollegen, die ihm immer wieder in die Quere kommen. Auch Frank empfände das hysterische Benehmen und den Sadismus von Scorseses Großbösewichten, wie zuletzt in dessen ähnlich gelagerten Thriller "Departed" zu sehen, als pure Energieverschwendung. Denzel Washington gibt als umsichtiger Drogenkonzernbetreiber eine geradezu unheimlich gute Vorstellung, die ihn für einen weiteren Oscar favorisiert.
Gangsterepos und Sozialkritik
Er ist alles in einem: Killer, innovativer Manager, besorgter Familienmensch, der seiner Mutter ein Herrenhaus kauft, biederer Gatte einer puertoricanischen Schönheitskönigin. Das erinnert ein wenig an alte Gangsterdramen, in denen Mafiosi nur deshalb auf den falschen Weg gerieten, weil ihnen eine rassistische Gesellschaft den anständigen Pfad verwehrte. Aber in dem zweieinhalbstündigen Epos steckt noch mehr: Neben der Untergrund-Ökonomie in kapitalistischer Reinform zeigt es auch die Opfer und Verwüstungen, welche die Droge in den Innenstädten anrichtete. Brillant auch der Schluss, bei dem unter anderem der Augiasstall eines zur drei Vierteln korrupten Drogendezernates ausgemistet wird. Schließlich die reale Perfidie des Transportweges, die sich kein Drehbuchautor hätte ausdenken könnte: die Drogen werden in Särgen getöteter Vietnam-Soldaten geschmuggelt. Da tut Ridley Scotts etwas andere Geschichtsstunde richtig schmerzen.