Er erinnere sich noch genau an den Moment, als er das erste Mal das Geräusch gehört habe, wenn eine Faust im Handschuh am Kopf eines Menschen landet. "Unangenehm" sei das gewesen und "so brutal", sagt Vladimir Klitschko, Schwergewichtsweltmeister und eine Hälfte der Klitschko-Packung. Die Brüder Vladimir und Vitali sind ein Phänomen, haben in Deutschland angeblich einen Bekanntheitsgrad von 99 Prozent, und deshalb gibt es sie nun auch im Kino. Am Donnerstag sind Dr. Steelhammer und Dr. Eisenfaust nach Berlin gekommen, um "Klitschko" vorzustellen, eine Dokumentation über den Weg der Zwei-Meter-Brüder, die es aus der Ukraine in die Boxringe der Welt geschafft haben.
Regisseur Sebastian Dehnhardt ("Das Wunder von Bern") ist ein beeindruckendes Stück Sportgeschichte gelungen, das vor allem von Menschen erzählt. Der Zuschauer ist hautnah mit dabei, wenn Vitali im Kampf gegen Lennox Lewis aus dem Auge blutet (vielleicht etwas zu hautnah) oder wenn Vladimir nach erbittertem Kampf gegen Sam Peter triumphiert. Aber eben auch, wenn Vater Klitschko davon berichtet, wie es war, als Soldat zum Einsatz nach Tschernobyl gerufen zu werden. Da wirft das Sportlerporträt mal eben Anker in der Weltgeschichte. Die Familie wohnte im nur 100 Kilometer entfernten Kiew, als der Reaktor explodierte. Das alles ist verpackt in Bilder, die mal ganz sachlich, mal pathetisch, mal emotional nostalgisch alles herausholen aus den Biografien, die immer wieder zu einer zu werden scheinen. Ihr größter Vorteil gegen ihre Gegner sei der, dass sie zu zweit seien, sagt Vladimir gleich zu Beginn des Films. Im Kopf kämpfe der Bruder immer mit.
Warum jetzt?
Versuche, aus den Ausnahmekarrieren der Brüder einen Film zu machen, hat es immer wieder gegeben. Doch bisher habe es eben nie geklappt, berichten die Klitschkos, die in Jeans (beide), Jackett (Vitali) und Strickjacke (Vladimir) gewohnt entspannt, bescheiden und selbstsicher dasitzen und sich über Dehnhardts Arbeit freuen. Entscheidend sei gewesen, dass sie sich mit dem Filmemacher gut verstanden hätten, sagt Vladimir im berühmten Klitschko-Deutsch, und zeigt sich immer noch schockiert, was Dehnhardt alles an Videos ausgegraben hat. Er selbst habe die Aufnahmen von Vitali, der als Teenager mit seinem Kickbox-Verein einst Florida besuchte, nicht gekannt.
"Boxen ist unser Leben, doch unser Leben ist nicht nur Boxen", fügt Vitali hinzu. "Ziel war, unser Leben zu zeigen." Und deshalb seien auch die Krisen nicht ausgelassen worden. Dann geht viel um die Ernsthaftigkeit des Boxens, das anders als andere Sportarten eben kein Spiel sei. Es wabert eine Portion Testosteron-Pathos durch den Raum. Doch ein Hallejula-Jubelwerk ist der Film nicht geworden.
"Wir sind Menschen"
Der Frage, ob sie angesichts des tragischen Schicksals des Parkinson-kranken Über-Boxers Muhammad Ali nicht Angst bekämen, weichen sie aus. Der Zusammenhang zwischen dem Sport und der Krankheit sei nicht bewiesen, sagt Vladimir. Aber weil die Brüder eben auch schlau sind, führt er aus, dass man seine eigenen Grenzen überwinden müsse, um an die Spitze seines Könnens zu gelangen. "Die Gefahren sind bekannt. Jeder muss für sich selbst wissen, wie weit er gehen will."
"Wir sind Menschen", will Vitali im Anschluss noch einmal grundlegend mit den Boxer-Vorurteilen aufräumen: "Wir bleiben es auch im Ring. Ein Boxer spürt Schmerz, und er hat Emotionen. Wir haben trotz des sportlichen Ehrgeizes Mitleid mit unseren Gegnern."
Dann kommt am Ende die einfache Frage: Warum eigentlich Boxen und nicht Fußball? Vladimir schaut seinen großen Bruder an und lächelt: "Er hat angefangen, ich habe es nachgemacht."
"Klitschko" kommt am 16. Juni in die Kinos