Tag 5 Hallo Spencer!

Wer einmal am eigenen Leib erfahren möchte, wie es ist, ein Filmstar zu sein, muss sich nur während einer Berlinale-Vorführung möglichst nah bei den Sesseln mit dem Schild "Reserviert" niederlassen.

Wer einmal am eigenen Leib erfahren möchte, wie es ist, ein Filmstar zu sein, wie es sich anfühlt, von hunderten augenweiten Fans bedrängt zu werden. Bitte, können Sie das T-Shirt unterschreiben, bitte das Poster, bitte den alten Bildband, nur noch ein Autogramm, und nur noch eins und eins noch und wenn es auf das Kinoticket ist. Während zur gleichen Zeit 20, 30 Kameraobjektive nur eine Armlänge entfernt auf jede Gesichtszuckung lauern. Während ein infernales Blitzlicht-Stakkato fast die Sicht nimmt, fast die Luft zum Atmen. Wer das einmal erleben möchte, muss sich nur während einer Berlinale-Vorführung möglichst nah bei den Sesseln mit dem Schild "Reserviert" niederlassen. Die Chancen sind dann besonders hoch, dass der Hauptdarsteller, der Regisseur oder auch nur der Tontechniker direkt nebenan sitzt.

Im Falle des Films "Cantando dietro i paraventi" (Singing Behind the Screens), der in der Rubrik "Berlinale Special" läuft, war das Carlo Pedersoli, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Bud Spencer. Ein Feiertag also für die Fans des gepflegten Verprügelns und dementsprechend zahlreich kamen sie hinter ihren Videorekordern hervorgekrochen und überschütteten den 74-Jährigen mit Liebesbezeugungen. Spencer hatte sich kurz vor Beginn der Vorstellung mitten in den vollen Saal gesetzt und so schlossen nun auch die Ottonormalbesucher mit mehr Ellenbogen und Kniescheiben Bekanntschaft als auf dem Oktoberfest. Ganz schön anstrengend, der Ruhm.

Bud Spencer als Flottenkapitän

Ganz schön anstrengend war leider auch der folgende Film, vergeigt vom italienischen Arthouse-Regisseur Ermanno Olmi. Es geht um eine Piratin, die im China des ausgehenden 18. Jahrhunderts den Tod ihres Mannes rächt und mit ihren drei Kanonenbooten Küstendörfer in Schutt und Asche legt, bis die kaiserliche Armada aufkreuzt. Eine Material- und Kostümschlacht inszeniert Olmi da, mit Anleihen aus der Pekingoper. Nur spannend erzählen, das kann er leider nicht. Und unser Bud? Der schleppt sich müde über die Planken, Tränensäcke geschwollen wie nach sechs Runden Faustkampf, Augenschlitze wie die Chinesen um ihn herum und deklamiert ein paar Sätze. Mimik, Gestik: Fehlanzeige. Rolle: überflüssig. Wenigstens sein Titel ist zum Lachen: Kapitän der königlichen Flotte von Andorra.

Die Mutter aller Fragen

Am Ende stellte sich Spencer noch einmal dem Publikum (er meint, dass dies sein Debüt als Schauspieler sei, zuvor hätte er doch nur Gucken und Austeilen müssen) und entfachte bereits durch einen holprigen Satz auf Deutsch die offensichtlich ungebrochene Begeisterung seiner Jünger: "Als ich jung war in der Schule, habe ich Deutsch gelernt. Ich habe alle vergessen". Schließlich stellte ein junger Mann mit sächsischem Akzent die Mutter aller Fragen: "Drehen Sie denn wieder mal mit Terence Hill?" Spencer murmelte was von Projekten und Schubladen und walzte autogrammlos von dannen.

Von Goldschmieden und Boat People

Einen rundum gelungenen italienischen Film gab es dafür an anderer Stelle, im Wettbewerb, zu sehen. "Primo Amore" (Erste Liebe") von Matteo Garrone. Ein Goldschmied liebt nur Frauen, wenn sie knochendürr sind. Als er die sowieso schon magere Sonia kennen lernt, beginnt ein fatales Liebesverhältnis, in dem die Ausschläge der Personenwaage irgendwann wichtiger werden als der Sex. Hunger haben auch die asiatischen Boat People in "The Beautiful Country", ebenfalls im Wettbewerb. Nach einem Sturm ist ihr Reisvorrat nass geworden und fault. Doch Binh – Mutter Vietnamesin, Vater US-Soldat – überlebt die Höllenfahrt und macht sich in Texas auf die Suche nach seinem Erzeuger.

Ziemlich gegen Ende des leisen aber umso eindringlicheren Films fragt der Sohn dann den wiedergefundenen Vater (Nick Nolte), ob er denn schlechte Erinnerungen an Vietnam habe. Nein, antwortet der, viel schlimmer. "Ich habe gute Erinnerungen". Der neue Bud Spencer-Film hat noch keinen deutschen Verleih, wird also nicht in deutsche Kinos kommen. Vielleicht ist das auch besser so. Für die guten Erinnerungen.

Matthias Schmidt

PRODUKTE & TIPPS