Als der italienische Filmemacher und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini 1968 einmal einen Nachruf auf sich selbst schrieb, obwohl er noch lebte, nannte er es "Coccodrillo", ein Krokodil. Das war italienische Zeitungssprache, es gab in den Redaktionen Schubladen in denen sogenannte "Krokodile" lagen, Nachrufe auf berühmte Personen also, die zwar noch lebten, aber auf dem Papier schon vorsorglich beerdigt waren.
Blickt nun man heute auf das sechs Monate alte Jahr 2016 zurück, würde es keinen wundern, wenn in den Zeitungsredaktionen wieder an solchen "Krokodilen" geschrieben würde, und zwar Tag und Nacht, man könnte auch sagen: am Fließband. Denn es vergeht kaum ein Tag, ohne neue Todesnachricht. Jetzt Götz George, Bud Spencer, neulich Prince, davor Genscher, Westerwelle, Roger Cicero, David Bowie, die Architektin Zaha Hadid, Roger Willemsen, Hugo Strasser, Achim Mentzel, Umberto Eco, Peter Lustig, Johan Cruyff, Hans Koschnik - die bisherige Totenliste bei Wikipedia hat kaum einen sterbeprominentenfreien Tag 2016.
Sterben wirklich immer mehr?
Das Gefühl: Es sterben immer mehr. Jeden Tag ein Nachruf, ach, der auch und gestern gerade die, was ist denn los...? Nichts ist los. Es sterben im Verhältnis zur Bevölkerung nicht mehr Menschen als sonst auch. Ein Blick in die deutsche Statistik kann zwar beunruhigen, weil 2015 mit 925.239 Deutschen mehr gestorben sind als ein Jahr zuvor, als es noch 868.356 waren. Aber schaut man einmal auf den "Altersbaum" Deutschland, sind die 55- bis 75-Jährigen auch die dickste Stelle im Stamm, das heißt, es sterben von denen mehr, von denen es auch am meisten gibt. Das ist immer traurig, aber eben auch normal.
In den Jahren davor ging die Kurve nach unten und hatte sich bei etwa 880.000 gehalten. Dafür gibt es viele Gründe, die medizinische Versorgung ist besser geworden, die Möglichkeiten der Lebensverlängerung auch, trotz des Pflegenotstandes geht es alten Menschen heute besser als je zuvor. Gestorben wird aber prominenter und medialer. Oder anders gesagt, die Gruppe bekannter Personen wie Stars, TV-Gesichter, Schriftsteller oder Fußballer wird in der medialen Welt immer größer.
Prominentisierung des Ablebens
Das liegt an der ersten Nachkriegsgeneration, die erstmals mit Medien aufgewachsen ist und sehr viel mehr Bühnen wie Fernsehen, Kino, Radio oder heute das Internet hatte, als jede Generation zuvor, deren Öffentlichkeiten Radio, Kino und ein paar Zeitschriften waren. Und so ist seit den frühen 60er Jahren das Personal Prominenz gewaltig gewachsen. Und wenn da einer verstirbt, steht es nicht nur auf 50 Zeilen in der Zeitung, sondern mit langen Nachrufen und mit diesen unvermeidlichen "RIP"-Beileiden sofort auf Twitter, Facebook oder Instagram. Da macht man sich mit dem Ruhm des Verstorbenen gleich selbst ein wenig mitberühmt, so der Sinn der sozialen Medien.
Dieser Prominentisierung des Ablebens folgt dann meistens noch eine Trauerfeier oder ein Begräbnis als Event, halber oder ganzer Staatsakt mit den unendlichen "Er war ein..."-Sätzen. Da nähere sich "der neuheidnische Totenkult wieder dem hemmungslosen Pathos vorchristlicher Zeiten an", wie es der Theologe Manfred Lütz in der "SZ" formulierte.
Die Nachrufe werden nicht weniger
Aber zum Beispiel Prince, David Bowie, Roger Cicero, Roger Willemsen - so alt waren die doch gar nicht? Genauer gesagt 57, 69, 45 und 60, eigentlich kein Sterbealter. Kein natürliches, aber eines, in dem es, zack, auch vorbei sein kann. Tragisch, unglücklich, Pech halt. Krebs, Gehirnschlag oder wie bei Prince, Medikamentenüberdosis. Was irritierend an Zeiten erinnerte, die man längst vorbei wähnte. Zeiten in denen man über verstorbenen Kurt Cobain, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Brian Jones oder Jim Morrison, die alle an Drogen starben, über den Club 27 sprach, weil sie alle 27 waren. Die eigentlich letzte wirklich prominente Drogentote war Whitney Houston, die im Februar 2012 tot in einer Badewanne gefunden wurde. Da war sie 49. Und Prince war 57.
Dieses "verdammte Jahr 2016", wie es auf Twitter und Facebook jetzt immer beklagt wird, ist also gar kein so verdammtes Jahr. Es ist ein normales Sterbejahr und wird auch so weitergehen. Die Nachrufe werden nicht weniger, sondern vielleicht sogar mehr. Denn es gibt immer mehr Prominente, Namen die man kennt und altehrwürdige Namen aus der damaligen Bonner Republik, die eben ins hohe Alter kommen. Und, auch das ein Missverständnis, gefühlt unterscheidet man gar nicht mehr zwischen den 80-, 90-Jährigen, deren Leben eben einfach endet und den 40, 50, 60-Jährigen, deren Lebensalter man selbst nahe ist und bei denen man immer den dämlichen Satz murmelt: "Die Einschläge kommen näher."
Ja, aber das ist normal. Seit dem Tag der eigenen Geburt.