Bluewater-Skandal "Es ist möglich, Realität zu schaffen"

Ein Selbstmordattentat als Werbegag. So haben deutsche Filmemacher ihren letzten Spielfilm ins Gespräch bringen wollen. stern.de sprach mit Mitinitiator Marcus Mittermeier, was um Gottes willen sie zu dieser Aktion getrieben hat.

Herr Mittermeier, Sie haben mit einer Handvoll Leuten einen Skandal inszeniert, um ihren Film "Short Cut to Hollywood" zu promoten. Immerhin vier Stunden lang haben Ihnen viele Medien geglaubt. Haben Sie noch Vertrauen in Ihre Tageszeitung?
Das Problem ist, dass Journalisten im Internetzeitalter mit unglaublicher Geschwindigkeit recherchieren müssen. Wie man an der Aktion sehen kann, ist es möglich, mit ein paar Websites, einem MySpace-Profil, einem Wikipedia-Eintrag, gezielt gestreuten Twitter-Meldungen und Skye-Rufumleitungen "Realität" zu schaffen. Die Vorbereitungen dafür dauerten etwa drei Wochen. Wenn man sich überlegt, dass das auch Leute können, die kriminelle Absichten haben, bekommt man schon Schiss.

Sie sind von Ihrem eigenen Erfolg überwältigt?
Ich hätte nicht geglaubt, dass es so einfach klappt.

Die Nachrichtenagentur dpa sprang auf die Story an - so nahm das journalistische Unglück seinen Lauf. Welche Möglichkeiten hätte es gegeben, ihre Schwindelei zu entlarven?
Als Filmemacher ist es unsere Aufgabe, Realitäten zu schaffen. Ich denke, das haben wir ganz gut geschafft. Als wir von der dpa zurückgerufen wurden, gingen amerikanische Schauspieler ans Telefon, im Hintergrund heulten Polizeisirenen. Andererseits wurde unser Film ja schon vor einem halben Jahr auf der Berlinale vorgestellt, und es gab einige Pressevorführungen. Wer ihn gesehen hat, erkennt die Parallelen sofort. Alle Namen und Bilder, die wir den Journalisten zugänglich gemacht haben, stammen aus dem Film. Man hätte auch dahinter kommen können, dass die Websites von Bluewater City und dem Fernsehsender "k-VPK7" Fälschungen waren. Aber am Ende hat man uns ja sogar geglaubt, eine Berliner Rap-Gruppe mit Namen "Berlin-Boys" habe ein Attentat vorgetäuscht. In Kalifornien! Da bleibt einem doch die Spucke weg.

Die dpa will nun ihre hauseigenen Regeln verschärfen.
Das finde ich gut. Hut ab. Aber der Medienkonsument hat auch eine eigene Verantwortung. Ich glaube, man muss sehr wachsam sein und sich immer fragen: Woher bekomme ich Nachrichten, und was machen sie mit mir?

Was wollen Sie den Menschen mit Ihrem Film und Ihrer PR-Aktion eigentlich mitteilen?
In dem Film geht es um eine zweitklassige Band aus Deutschland, die durch gezielte Tabubrüche in den USA berühmt wird. Den Durchbruch erreichen sie, nachdem sie als Araber verkleidet in ein Restaurant stürmen und dort ein Attentat vortäuschen. Diese Aktion haben wir in die Realität übertragen. Der Mechanismus geht so: Große Geschichten werden zu Nachrichten. Und genug Öffentlichkeit führt zum Erfolg in der Sache.

Heißt: Bei Ihnen klingeln die Kassen, Medien und Leser sind geleimt. Ist es wirklich so einfach?
Erfolg braucht schon auch Talent, aber eine große Geschichte drum herum kann einiges bewirken. Nehmen Sie nur mal Lady Gaga oder Amy Winehouse. Die eine kenne ich wegen ihrer skandalösen Klamotten, die andere wegen ihrer Drogenexzesse. Musik ist da eher nebensächlich. Im Film wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Da inszeniert einer sein eigenes Sterben, um unsterblich zu werden. Der Faustische Tod, quasi.

Marcus Mittermeier (40),

deutscher Schauspieler und Regisseur, wurde 2004 mit dem pseudo-dokumentarischen Spielfilm "Muxmäuschenstill" bekannt, für den er den Max-Ophüls-Preis bekam. Mit Guerilla-Taktik und Handkamera zieht dort Jan Henrik Stahlberg als Verteidiger von Recht und Gesetz durch Berlin. Mit ihm machte Mittermeier auch seinen letzten Film "Short Cut to Hollywood", der 2009 auf der Berlinale Premiere hatte. Als Promotionaktion für den Film inszenierte Mittermeier zusammen mit anderen Mitstreitern einen Skandal um einen fiktiven Selbstmord-Anschlag auf die Stadt Bluewater im US-Bundesstaat Kalifornien. Sogar die Nachrichtenagentur dpa berichtete davon.

Mathias Becker

PRODUKTE & TIPPS