Bekanntes Märchen Wissenschaftlerin erklärt: Cinderellas gläserner Schuh könnte eine Parodie auf das französische Königshaus sein

Szene aus dem Aschenputtel-Disneyfilm, in der der Prinz dem Aschenputtel den Schuh anzieht
Die bekannte Szene aus dem Disney-Film: Der Prinz zieht Cinderella den gläsernen Schuh an und erkennt sie dabei als die Prinzessin, mit der er zuvor auf seinem Ball getanzt hatte.
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"Niemand konnte in Schuhen aus Glas wirklich laufen, geschweige denn tanzen", sagt Genevieve Warwick, Professorin für Kunstgeschichte. Genau darum sei es dem Autor des berühmten Cinderella-Märchens gegangen. Seine Erzählung könnte eine Parodie der damaligen Modeerscheinungen sein.

Aschenputtel, Aschenbrödel oder Cinderella – die Erzählung von dem einfachen Mädchen, das mit Hilfe eines vergessenen Schuhs ihre wahre Liebe findet, ist ein beliebtes Märchen, das zur Weihnachtszeit in keinem TV-Programm fehlen darf. Der Geschichte liegen unterschiedliche Versionen zu Grunde. Während im deutschsprachigen Raum die Erzählung der Gebrüder Grimm (das Aschenbrödel) besonders bekannt ist, geht der Disney-Film Cinderella auf die Geschichte des französischen Schriftstellers Charles Perrault zurück. Seine Variante des Märchens könnte eine Parodie des französischen Königshauses sein, wie eine Kunsthistorikerin kürzlich im britischen "Guardian" erklärte.

Schuh von Cinderella verspottet Modeerscheinungen der Oberschicht

Im Mittelpunkt steht dabei der gläserne Schuh. Dieser sei laut Genevieve Warwick, Professorin für Kunstgeschichte an der University of Edinburgh, 1697 Teil der Geschichte geworden, als Perrault die Endversion des Märchens niederschrieb. Cinderella, von ihrer Stiefmutter und den Stiefschwestern zu Hausarbeit verdonnert, wird von einer Fee in eine Prinzessin verwandelt. In einem glamourösen Kleid – und mit gläsernen Schuhen – nimmt sie am Ball des Prinzen teil, wo sich die beiden ineinander verlieben. Der Zauber der Fee hält jedoch nur bis Mitternacht an. Als die Uhr zwölf schlägt, flieht Cinderella, wobei sie einen ihrer Schuhe verliert. Mit dem Schuh im Gepäck macht sich der Prinz auf die Suche nach dem unbekannten Mädchen – und findet sie schließlich.

Warwick nennt den gläsernen Schuh "einen geistreichen Witz". Wie sie im "Guardian" erklärt, könnte der Schuh ein Symbol sein, dass die unpraktischen Modeerscheinungen französischer Aristokraten verspottet. Der Schuh steht in ihrer Sichtweise sowohl für die Liebe König Ludwigs XIV. zu extravaganter und oft weltfremder Mode, als auch für den wirtschaftlichen Aufschwung Frankreichs.

Märchen-Autor Perrault war zugleich ein hochrangiger Beamter, der mit der Gestaltung der Paläste des Königs beauftragt war. Unter anderem wirkte er an der Konzeption des Spiegelsaals im Schloss Versailles mit. Die 73 Meter lange Halle wurde mit 357 Spiegeln und 17 riesigen Rundbogenfenstern ausgestattet. Zu dieser Zeit galt Glas als modisches, aber auch extrem teures Material.

Symbol für die aufstrebende Glasindustrie in Frankreich

"Er war auch der Verwalter, der für die Einrichtung einer königlichen Glashütte für Frankreich verantwortlich war", berichtet Warwick. Diese Einrichtung stellte Glas erstmals in Frankreich her. Die Königspaläste mussten fortan kein Glas mehr aus Venedig importieren. "Perrault war für die Versorgung der Glashütte verantwortlich: Sand, Asche und Holz für die Feuer", sagt die Expertin. Dies könne als Inspiration für den Name Aschenputtel gedient haben. Cinderellas Schicksal – das Happy End mit dem Prinzen – könnte man als Parallele zu dem Erfolg der aufstrebenden französischen Glasindustrie interpretieren, so Warwick.

Szene aus dem Aschenputtel-Disneyfilm, in dem die Fee Cinderella in eine Prinzessin verwandelt
Die gute Fee schwingt ihren Zauberstab und verwandelt Cinderellas zerschlissene Klamotten in ein schickes Kleid
© imago images/Ronald Grant

Auch die Textilindustrie gewann im 17. Jahrhundert an Bedeutung. "Es war der Beginn der Mode, wie wir sie heute verstehen, mit Sommer- und Wintersaisonen und immer neuen Klamotten und neuen Designs", erzählt die Wissenschaftlerin. Dabei seien, besonders für Frauen, unbequeme Trends aufgekommen, über die sich zeitgenössische Schriftsteller oft lustig gemacht hätten. Beispielsweise die sogenannten "Pins". Es handelte sich um "Stelzen, die Frauen trugen. Teilweise um ihre Kleider und Seidenschuhe aus dem Schlamm zu heben". Diese A ccessoires "waren unglaublich unpraktisch. Man konnte kaum darin laufen", betont Warwick. Genauso wenig wie man in Schuhen aus Glas laufen könnte.

König Ludwig war besessen von Schuhen

Die Schuhe könnten noch einen weiteren symbolischen Hintergrund haben. König Ludwig, ein großer Förderer der französischen Mode, sei selbst besessen gewesen von ausgefallenen Schuhen. "Er wechselte ständig seine Schuhe, und sie waren sehr modisch, voller Schleifen und Bommeln und ausgefallener Details", erläutert die Expertin. Zu Staatsempfängen habe er edle Textilien, die mit Goldfäden, Diamanten und Perlen besetzt waren, getragen. Seine Schuhe habe er stets darauf abgestimmt. Der gläserne Pantoffel führt in den Augen der Professorin zwei wichtige Interessen des Königs zusammen: Zierglas und aristokratische Mode.

Ähnliche Anspielungen finden sich in einem weiteren bekannten Märchen Perraults, dem gestiefelten Kater, fügt Warwick hinzu: "Was die Stiefel wirklich tun, ist, diese bescheidene Hofkatze in einen Aristokraten zu verwandeln. Genau wie bei Cinderella." Die Jahrhunderte alte Geschichte von Aschenputtel erlangte mit dem Disney-Film von 1950 weltweite Bekanntheit. "Cinderella" war der erste längere Zeichentrickfilm, den die Disney-Werkstatt nach dem Zweiten Weltkrieg hervorbrachte – und gilt bis heute als das größte Risiko in der Geschichte des Unternehmens.

Cinderella-Film bewahrte Disney vor dem Ruin

Nach dem Krieg standen die Walt Disney Studios vor dem finanziellen Ruin. Nach Angaben des Portals "Disney Central" hatte sich das Unternehmen über vier Millionen Dollar verschuldet, entschieden sich aber dennoch für die Produktion des Märchens. Der Streifen wurde ein riesiger Erfolg, der Disney zu neuem Aufschwung verhalf.

Seit 2018 ist das Klassiker sogar Teil der National Film Registry of the Library of Congress, einem Verzeichnis prestigeträchtiger Filmtitel mit einem besonderen kulturellen, historischen oder ästhetischen Wert, deren Erhalt gesichert werden müsse.

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Die Handlung im Disney-Film kommt der Vorlage sehr nahe. Kernelemente wie die böse Stiefmutter und die bösen Stiefschwestern, die gute Fee, die Verwandlung des Kürbisses in eine Kutsche sowie die Schuhe aus Glas sind aus der Original-Version übernommen worden. Der einzige größere Unterschied: In Perraults Fassung erstreckt sich der königliche Ball über mehrere Abende.

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