Deutsche Filme haben es bei den großen internationalen Festivals oft schwer. Oft schafft es kein Beitrag aus der Bundesrepublik in den Hauptwettbewerb. Beim 70. Filmfest Venedig ist das ganz anders. Dort laufen gleich in mehreren Sektionen deutsche Filme - und die haben in den ersten Tagen bemerkenswert starke Akzente gesetzt.
So thematisiert Philip Gröning in dem Wettbewerbsbeitrag "Die Frau des Polizisten" Gewalt in der Ehe, während Rick Ostermann in seinem Debüt "Wolfskinder" auf die erschütternden Schicksale der zahlreichen Mädchen und Jungen aufmerksam macht, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf sich allein gestellt ums Überleben kämpfen mussten. Zuvor hatte schon Edgar Reitz in "Die andere Heimat" den Exodus armer deutscher Bauern ins Ausland beleuchtet.
Tagebuch einer gewaltsamen Ehe
"Die Frau des Polizisten" konkurriert als einziger deutscher Beitrag um den Goldenen Löwen des Festivals - und könnte durchaus Chancen auf eine Auszeichnung haben. Denn der in Düsseldorf geborene Gröning legt eine einprägsame Studie über eine Beziehung vor, die sich von einer liebevollen Zweisamkeit zur brutalen Alltagshölle entwickelt. Gröning nimmt sich dafür rund drei Stunden Zeit, teilt sein Werk in knapp 60 (!) Kapitel ein, so dass "Die Frau des Polizisten" so etwas wie ein Tagebuch dieser Ehe wird. Die strenge Struktur hält Zuschauer zunächst zwar eher auf Distanz, löst gleichzeitig aber eine innere Angespanntheit aus, durch die der Film noch länger in den Gedanken haften bleibt.
Spannend ist dabei auch, dass Gröning - der zuvor mit seinem Polit-Drama "Die Terroristen" Aufsehen erregte und mit der Kloster-Doku "Die große Stille" 2005 Erfolg feierte - nicht die Gewaltexzesse in den Mittelpunkt stellt. Die zeigt er fast beiläufig. Am Anfang erproben sich Uwe und Christine noch spielerisch im Händedrücken, dann treten Unsicherheiten offener hervor, ein Streit eskaliert. Irgendwann ist Christines Körper dauerhaft mit dunkelblauen Flecken übersät. Dennoch will sie die Fassade wahren, vor allem ihre gemeinsame kleine Tochter Clara soll von all dem Terror nichts mitbekommen.
Er habe bei seinen Recherchen mit zahlreichen betroffenen Frauen und Männern gesprochen, erzählte der 54-Jährige im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Dabei habe er gemerkt, dass es auf beiden Seiten starke Abhängigkeiten und Schutzlosigkeiten gebe. "Auch wenn man sich als Außenstehender fragt "Warum geht die Frau nicht einfach?", dann gibt es diese Möglichkeit des Gehens in der Realität so einfach nicht. Das war sehr berührend zu merken."
Filmische Reisen in ein anderes Deutschland
Bedrückend auch der Film "Wolfskinder", der in der renommierten Nebenreihe Orizzonti läuft. Der in Paderborn geborene Ostermann zeigt in seinem auf wahren Begebenheiten basierenden Spielfilm erschütternde Bilder: Die Brüder Hans und Fritz werden nach dem Tod ihrer Mutter bei der Flucht zu Kriegsende getrennt. Bei der Suche nach Fritz wird Hans mit Mord und Vergewaltigung konfrontiert, leidet unter Hunger und muss für sein Überleben auch töten.
"Ich habe mir ein Schicksal aus der Geschichte ausgewählt, weil ich es für besonders erzählenswert hielt und viele Menschen dieses Thema nicht kannten", sagte der 34-Jährige im Interview. Tatsächlich lebten viele der Wolfskinder jahrzehntelang in Osteuropa. Ihre Schicksale wurden häufig erst nach der Auflösung der Sowjetunion bekannt. "Ich denke, dass Kinder leider viel zu oft zu unschuldigen Opfern von Auseinandersetzungen und Kriegen werden."
Einen historischen Stoff nahm sich auch Edgar Reitz mit "Die andere Heimat" vor. Das außer Konkurrenz laufende Schwarz-Weiß-Werk spielt im 19. Jahrhundert, zeigt arme Familien auf dem Land, die trotz sehr harter Arbeit kaum etwas zum Leben haben. Zwei Brüder träumen daher davon, nach Südamerika auszuwandern. Die Dreharbeiten seien eine "Reise in ein anderes, gar nicht so fernes und doch so vergessenes bitterarmes Deutschland" gewesen, erklärte Reitz. "Es ist kaum vorstellbar, dass die Menschen in unserem Land noch vor weniger als 150 Jahren ein Leben führen mussten, das heute auf dem ganzen Globus kaum noch Parallelen findet."