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Filmstart "Paradies: Glaube" Eine Missionarin in Wien

Im zweiten Teil seiner "Paradies"-Trilogie zeigt Ulrich Seidl die Auswirkungen fanatischer Religiosität. Beim Filmfest von Venedig provozierte er damit Protest - und gewann einen der Hauptpreise.

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl wurde in den 1980er und 90er Jahren mit oft als Provokation empfundenen Dokumentarfilmen über menschliche Schwächen bekannt. Mit am berühmtesten ist "Tierische Liebe", eine Erkundung stark übertriebener, geradezu intimer Beziehungen von Menschen zu ihren Haustieren. In dieser und anderen Dokumentationen sowie in seinen Spielfilmen lässt Seidl es nicht an Deutlichkeit fehlen, wenn er hinter die Kulissen der bürgerlichen Gesellschaft schaut. So nun auch in "Paradies: Glaube". Nachdem er in "Paradies: Liebe" die 50-jährige Sextouristin Teresa nach Kenia begleitet hat, beobachtet Seidl jetzt die bösen Auswirkungen fanatischer Religiosität.

In diesem zweiten Teil der "Paradies"-Trilogie, die ihren Abschluss mit dem bei der Berlinale gezeigten Jugenddrama "Paradies: Hoffnung" findet, steht Teresas etwa gleichaltrige Schwester Anna Maria im Mittelpunkt. Sie ist fanatische Katholikin und verbringt ihre Sommerferien damit, in Wien von Haus zu Haus zu ziehen, um fremde Menschen zu ihrem Glauben zu bekehren. Dabei geht sie mit einer geradezu gnadenlosen Radikalität vor.

Von diesem Film fühlten sich die Vertreter der ultrakonservativen italienischen Organisation "No 194", so benannt aus Protest gegen den Abtreibungsparagrafen, äußerst provoziert. Deshalb erstatteten sie anlässlich der Uraufführung der düsteren Satire im September während des Filmfestivals Venedig Medienberichten zufolge sowohl gegen die Festivalleitung als auch gegen Regisseur Seidl und seine Hauptdarstellerin Maria Hofstätter Anzeige wegen Gotteslästerung. Die Anzeige hatte bisher keine juristischen Folgen, bescherte dem Film jedoch weltweit eine enorme Publicity.

Vom Hass getrieben

Anlass für die heftige Ablehnung des Werks ist eine Szene, in der Anna Maria (Hofstätter) ein Kruzifix zur sexuellen Lustbefriedigung nutzt. Das wird vor der Kamera allerdings lediglich dezent angedeutet. Hier sieht Schmutziges nur, wer es sehen will. Viel wichtiger als dieser kurze Moment ist ohnehin die tatsächlich scharfe Ächtung allen fanatischen und damit pervertierten Glaubens.

Besonders deutlich wird diese Ächtung in jenen Szenen, die Anna Maria mit ihrem nach langer Abwesenheit überraschend ins kleine gemeinsame Haus zurückgekehrten muslimischen Ehemann Nabil (Nabil Saleh) zeigen. Er achtet den Glauben seiner Frau. Sie aber reagiert auf Nabils Versuche, seine Religiosität zu leben, mit verbalen und körperlichen Attacken, die sogar sadistische Formen annehmen.

Seidls Markenzeichen ist es, selbst vor den größten Peinlichkeiten nicht die Augen zu verschließen und in seinen Werken immer wieder Persönlichkeiten zu zeigen, die über die Grenzen des Üblichen hinausgehen. Auch "Paradies: Glaube" kennt kein Pardon. Das Lächeln etwa, mit dem Anna Maria ihr wildfremde Menschen, darunter eine dem Alkohol verfallene Prostituierte, zu ihrem Glauben bekehren will, hat einen nahezu teuflischen Schein. Den Liebreiz der Medizinisch-Technischen Assistentin auf ihrem sommerlichen Missionierungsstrip durch Wien prägt giftige Eiseskälte. Ihren Glauben zu Gott tragen nicht Güte und Liebe. Anna Maria wird getrieben vom Hass auf all jene Menschen, die sich ihren Wertmaßstäben nicht beugen.

Offene Bilder, pechschwarzer Humor

Der Film weist mit Intelligenz weit über sich hinaus. Ulrich Seidl prangert nämlich jede Form von Fanatismus an, ob religiös oder ideologisch motiviert. Dabei äußert er sich in keinem einzigen Moment gegen den christlichen oder einen anderen Glauben. Abgelehnt wird allein ein fanatisierter Glaube, der sich etwa in Intoleranz gegenüber einem selbst fremden Denk- und Lebensformen zeigt.

Regisseur Seidl sowie seine nuanciert agierenden Hauptdarsteller denunzieren keine einzige der Figuren. Mit in der Tat pechschwarzem Humor zeigen sie jedoch, wie schnell an sich Gutes, der Glaube, gefährlich werden kann, wenn nicht von Nächstenliebe, Achtung gegenüber dem Fremden und Offenheit geprägt. Beim Internationalen Filmfestival in Venedig bekam "Paradies: Glaube" dann auch eine der wichtigsten Auszeichnungen, den Spezialpreis der Jury.

Peter Claus, DPA DPA

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