Nicht weniger als die Mondlandung muss herhalten für den Anfang einer neuen Doku über Gustl Mollath. Ein Astronaut im Raumanzug ist zu sehen. Eine Sprecherin sagt: "Stell dirvor, du gehst auf eine Reise in eine fremde Welt" - in diesem Fall jedoch in die Nervenheilanstalt. "Du siehst Dinge, von denen andere noch nie etwas gehört haben", sagt die Stimme. "Können sie dich überhaupt begreifen?" Die Regisseurinnen Leonie Stade (27) und Annika Blendl (33) haben das in ihrem Film über den vermutlich bekanntesten Psychiatrie-Insassen Bayerns versucht. Wirklich Neues gibt es da zwar nicht. In "Mollath - Und plötzlich bist du verrückt" wollen sie vielmehr den Menschen hinter dem Fall zeigen.
"Je mehr wir uns damit beschäftigt haben, ihn besucht haben und regelmäßig Kontakt hatten, hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass da ein sehr interessanter Mensch dahintersteckt", sagt Stade. Eineinhalb Jahre haben sie mit Mollath gedreht. In ihrem 90-minütigen Film versuchen die Regisseurinnen zwar, auch die andere Seite zu Wort kommen zu lassen. Mehr Raum nimmt jedoch Mollath ein, den die Regisseurinnen barfuß am Strand zeigen, bei einem Autorennen in England, in der Kirche und wenn er liebevoll seine Pflanzen versorgt.
Verprügelt, gebissen und gewürgt
Die Geschichte Gustl Mollaths ließ kaum jemanden kalt. Von 2006 bis 2013 saß der Nürnberger in der Psychiatrie und kämpfte von Anfang an für seine Freilassung. Nach einem Wiederaufnahmeverfahren verließ er vor rund einem Jahr als freier Mann das Landgericht Regensburg. Die Strafkammer sprach den 58-Jährigen zwar frei, sah ihn aber als einen Gewalttäter, der seine frühere Ehefrau verprügelt, gebissen und gewürgt hat. Die von Mollath erhoffte Rehabilitation gab es nicht. Der Journalist Otto Lapp vom "Nordbayerischen Kurier" sagt im Film, wenn Mollath über seinen Fall spreche, sei er "wie jemand, der ein Drehbuch liest". Sobald es jedoch um etwas anderes gehe, sei die Sprache des 58-Jährigen sofort "nicht mehr so flüssig, klar und aufgeräumt". Leonie Stade erklärt das so: "Wenn man etwas immer und immer wieder schildert und auch immer wieder dazu gefragt wurde, hat man vielleicht irgendwann gewisse Antworten parat."
Ex-Frau nicht vor der Kamera
Mollaths Ex-Frau stand nicht vor der Kamera. "Wir haben uns darüber sehr viele Gedanken gemacht", berichtet Stade. "Doch dann hätten wir sie zu gleichen Teilen integrieren müssen - und hätten kein Porträt mehr über ihn machen können." Zudem wollte sie auch nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten. Die andere Seite von Mollaths Geschichte wird daher durch Otto Lapp und Beate Lakotta vom "Spiegel" erzählt.
Wie die Regisseurinnen sagt Lapp: "Es gibt immer zwei Wahrheiten. "Weil sie daher auch mit Mollaths Ex-Frau gesprochen haben, werden Lapp und Lakotta von Mollaths Unterstützern wüst beschimpft. Viel Verständnis dafür hat Stade nicht: "Definitiv ist Gustl Mollath zum Opfer von etwas geworden. Das heißt aber nicht, dass man ihn deswegen zum Helden stilisieren muss."
"Es gab viele witzige Szenen"
Zuweilen wirkt Mollath im Film etwas eigen - etwa wenn er im Bus seine Münzen wegen der seltenen Prägung nicht zum Bezahlen verwenden will und lieber Schwarz fährt. Dann ist seine Verbitterung zu sehen über die Ungerechtigkeit, die ihm angetan wurde. Und dann wieder wirkt er extrem vernünftig, sehr humorvoll und selbstironisch. Als ihm etwa eine Frau einen kritischen Zeitungsartikel über ihn zeigen will, lehnt er lachend ab und sagt, wenn er so was lesen würde, "möchte ich fast verrückt werden und das möchte ich vermeiden".
"Es gab viele witzige Szenen", erzählt Blendl. "Er hat sehr viel Humor und wir haben uns gut mit ihm amüsieren können. Das hätte man vielleicht gar nicht geahnt." Doch so richtig nahe kommen ihm die Filmemacherinnen nicht. Mollath lässt wohl niemanden an sich ran. "Er ist kein Mann, der plötzlich sein tiefstes Inneres nach außen kehrt, sondern er ist sehr kontrolliert als Mensch", sagt Stade. Sie nennt ihn kompromisslos, kämpferisch und sehr genau. "Uns war es wichtig, auch diese Seiten zu zeigen. Denn ohne diese Eigenheiten wäre er nie aus der Psychiatrie raus gekommen."
Eine der eindrücklichsten Szenen ist Mollaths Seilbahn-Fahrt auf die Zugspitze. Während wunderschöne Berglandschaften zu sehen sind, erzählt der 58-Jährige von der Mondlandung und was diese als Kind bei ihm ausgelöst habe: "Die Welt ist eine wunderschöne fragile Seifenblase und wir machen sie kaputt", sagt er da - und ärgert sich über die Menschen, die das nicht hören wollen: "Wenn man vernünftig ist, ist man ruck-zuck der Irre, der stört. Total krank."