Ein Blick auf die aktuellen Bestseller-Liste verrät, was die Kolumbianer derzeit gerne lesen: Auf Nummer eins rangiert der Erlebnisbericht von Luis Eladio Perez "Sieben Jahre von der Farc entführt". Gleich dahinter: "Meine Flucht in die Freiheit" von Ex-Geisel Jhon Frank Pinchao. Für die Verlage zahlt sich das Geschäft mit den Horrorgeschichten aus dem kolumbianischen Dschungel in barer Münze aus. Jetzt aber gilt es, den "Rolls Royce" unter den Geiseln zu vergolden: Ingrid Betancourt, die Franko-Kolumbianerin geriet 2002 als ehemalige Präsidentschaftskandidatin in die Hände der kolumbianischen Guerilla-Gruppe Farc. Ihr Martyrium dauerte über sechs Jahre. Jetzt hat der Wettlauf um die Vermarktungsrechte begonnen.
Aus dem Dschungel ins Blitzlichtgewitter
Kaum war die spektakuläre Befreiungsaktion Ingrid Betancourts ein paar Stunden alt, warfen die größten Nachrichtenmagazine des Landes schon Extra-Ausgaben auf den Markt. Allesamt waren binnen kürzester Zeit ausverkauft.
Als die mittlerweile 46 Jahre alte Ex-Geisel in den Nachmittagsstunden jenes denkwürdigen 2. Juli vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Flugzeugtreppe hinunterstieg, dürfte sie schon einen ersten Vorgeschmack auf das neue Leben bekommen haben, das sie seither führen muss und wohl auch will: Innerhalb von wenigen Stunden aus der Einsamkeit und Tristesse der jahrelangen Dschungel-Haft ging es hinein in ein Stahlbad weltweiten Medieninteresses.
Mehr als eine Hundertschaft Fotografen hatte auf dem Militärflughafen Catam in Bogotá ihre Objekte in Stellung gebracht, als Ingrid Betancourt von ihrer Familie emotional begrüßt wurde. Von dieser Sekunde an wurde die 46 Jahre ehemalige und vielleicht auch wieder zukünftige Präsidentschaftskandidatin eine globale Medienfigur. Betancourt bei Frankreichs Präsident Sarkozy, bei Spaniens Ministerpräsident Zapatero, live bei CNN-Interviewer Larry King oder als Pilgerin in Lourdes: Keinen Schritt kann Betancourt ohne die sie begleitende Presseschar mehr machen. Und sie wehrt sich bislang auch nicht dagegen.
Das Liebesleben der Ex-Geisel
Jetzt wird das Liebesleben des neuen Superstars in allen Einzelheiten durchleuchtet. Dass Ehemann Juan Carlos Lecompte enttäuscht einräumen muss, am Flughafen mehr als nur diese eine kurze Geste erwartet zu haben, füllt ganze Seiten der Blätter in Bogotá, Quito oder Caracas. Ingrid hatte für ihn nicht einmal eine Umarmung übrig, sondern tätschelte gerade mal gönnerhaft seine Wange.
Zu wenig, finden die Klatschblätter und spekulieren nach Herzenslust: Warum der Betancourt-Gatte, der sich jahrelang für die Freilassung seiner Frau einsetzte, allein in Bogotá zurückbleiben muss, während Ingrid in Frankreich von Ehrung zu Ehrung gereicht wird. Gibt es gar eine Liebesbeziehung mit Ex-Geisel Luis Eladio Perez, dessen Blick auf dem Flugfeld des Militärflughafens in Bogotá "mehr als tausend Worte sagte", wie das People-Magazin "Gente" vermutet. Oder wie ist das Verhältnis zu ihrem "Sanitäter" William Perez? Der kolumbianische Soldat und Mitgefangene, der sich aufopferungsvoll um ihre Gesundheit kümmerte, sei immerhin minutenlang von ihr umarmt worden.
Filmgerechte Vermarktung
Die Rolle der bösen Hexe im medialen Gewitter übernimmt Betancourts Mutter Yolanda, eine ehrgeizige Ex-Schönheitskönigin, die zielstrebig die Karriere ihrer Tochter voranbringen will - ohne Rücksicht auf familiäre Verluste. So lesen es jedenfalls derzeit die informationssüchtigen Kolumbianer.
Und natürlich meldet sich auch Hollywood zu Wort: Man sei derzeit mit allen wichtigen Studios in Los Angeles in Kontakt, berichtete Alejandro Arango der Tageszeitung "El Tiempo". Der TV-Manager des privaten kolumbianischen TV-Senders RCN kündigte an, dass schon bald alles in trockenen Tüchern sei. Gemeint ist ein Film, der die drei Perspektiven darstellen soll, eine französische, eine kolumbianische und eine US-amerikanische. Schließlich waren auch drei US-Amerikaner gemeinsam mit Betancourt befreit worden.
Millionenschwere Angebote
Derweil spekuliert die Regenbogenpresse über die geeigneten Schauspieler für die wichtigsten Rollen. George Clooney sei die Idealbesetzung für die Rolle des verwegenen Generals Montoya, der die Befreiungsaktion kommandierte. Als "Ingrid Betancourt" werden Meryl Streep oder Sigourney Weaver gehandelt. Nur das Beste für die lateinamerikanische vielleicht sogar globale Geschichte des Jahres.
Stimmen die Informationen der kolumbianischen Tageszeitung "El Espectador", dann steht Produzent Scott Steindorf vor dem Abschluss des großen Deals. Der US-Amerikaner hatte zuletzt dem kolumbianischen Literatur-Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez nach zwei Jahren Verhandlung und dem Ausschlagen von über 50 Angeboten erstmals die Filmrechte an einem seiner Bestseller abgekauft: Für rund 2,3 Millionen Euro erhielt Steindorf den Zuschlag für "Liebe in Zeiten der Cholera". Der Mann kennt sich also aus in Kolumbien.
Weiter berichtet das Blatt, Betancourt stehe unmittelbar vor dem Abschluss eines Vertrages mit der französischen Agentin Susannah Lea, die die Vermarktung aller Rechte übernehmen soll - ein vermutlich millionenschwerer Deal. Diese soll dann auch den Hollywood-Vertrag abschließend aushandeln. Die nächste Videobotschaft Betancourts gibt es dann nicht als Lebenszeichen aus dem Dschungel, sondern für gutes Geld an der Kinokasse.