neustart ben x

BITTE BLIND LASSEN - es kommt autorenstück dazu.

Die Pubertät ist ein Minenfeld, dessen Überquerung manchem Jugendlichen schier unlebbare Qualen bereitet. Und es sind ausgerechnet die verfemten Computerspiele, die sonst für jedes pubertäre Ausrasten verantwortlich gemacht werden, die im Jugenddrama "Ben X" einem gepeinigten Teenager helfen, Überlebensstrategien zu entwickeln.

Der am 8. Mai anlaufende Film ist inspiriert vom authentischen Fall eines Schülerselbstmordes und war in seiner Heimat Belgien ein Riesenerfolg. Ben bewegt sich durch die Straßen, als ob er Scharfschützen fürchten müsste – geduckt und stets in Angst, aufzufallen. Der nervöse Junge ist in mehrfacher Hinsicht ein Außenseiter: Er leidet am Asperger-Syndrom, einer leichten Form von Autismus, die es ihm schwer macht, soziale Kontakte zu knüpfen und sich den Gepflogenheiten der Gesellschaft anzupassen.

Darüber hinaus ist er hochintelligent, was trotz allen Bemühens im Schulunterricht nicht verborgen bleibt und seine Lage nur verschlimmert. Ohne Unterlass wird das gehemmte Genie von zwei Jungs gepeinigt, welche die Rolle von Leitwölfen übernehmen. Der Rest der Klasse teilt sich in Mitläufer und wenige andere, die ängstlich und angeekelt wegschauen. Die Lehrer halten sich bedeckt, und seine patente, allein erziehende Mutter kann nicht mehr tun, als ihren verschlossenen Sohn von einem Psychologen zum anderen zu schleppen.

Trost aus dem Internet

Bens einzige Stütze ist das Onlinespiel "Archlord", in dem sein virtueller Stellvertreter, sein Avatar BenX, in mittelalterlichem Ritter-Ambiente alle Monster überwältigt. Regelmäßig tauscht er sich darüber mit seiner Online-Partnerin Scarlite, seiner "Heilerin" aus. Als Ben von seinen Quälgeistern unter dem Beifall der Klassenkameraden gedemütigt und per Handy gefilmt wird, beschließt er, Schluss zu machen. "2 late 2 heal", postet er an Scarlite, doch die unbekannte Chat-Partnerin überredet ihn dazu, sie im "Real Life" zu treffen.

Der Kulturjournalist Nic Balthazar verfilmte in seinem Regiedebüt jenen Stoff, den er zuvor erfolgreich zu einem Jugendbuch und einem Theaterstück verarbeitet hatte. Die Filmversion ermöglicht ihm die Entwicklung einer hippen Bildsprache, die Jugendliche unmittelbar ansprechen dürfte: Er übernimmt die subjektive Perspektive von Ben, in dessen Fantasie sich reale und virtuelle Welt überlappen. So sieht Ben seine realen Gegner, die ihm auflauern, gelegentlich in computeranimierter Form – eine Möglichkeit für ihn, innerlich Distanz zu schaffen und sich eine Strategie zu überlegen.

Happy End trotz Happy Slapping

Wieweit Ben sich damit aus der Bredouille zieht, lässt der Film indes offen. So bewegt sich die Inszenierung auf mehreren Ebenen und schiebt zusätzlich gestellte Interviews mit Eltern und fatalistischen Lehrern ein, die ein tragisches Ende vorweg zu nehmen scheinen. Andererseits wendet sich Bens Treffen mit Scarlite ins Märchenhafte, und der überraschende Ausgang wirkt bei aller Raffiniertheit ein bisschen wie ein tröstliches Bonbon für die Zielgruppe. Auch scheint Hauptdarsteller Greg Timmermans ein wenig zu alt für seine Rolle.

Doch in der Darstellung von Mobbing-Mechanismen, "Happy Slapping", pubertärem Sadismus und psychischen Grenzsituationen ist das Drama genauer und aufwühlender als etwa das thesenhafte deutsche Jugenddrama "Die Welle", das die Entstehung faschistoider Tendenzen beleuchtete. Das handfestere belgische Pendant passt nicht nur wie die Faust aufs Auge zur Diskussion um die Reform des Schulsystems – sondern vor allem zu den Ängsten von Eltern, ihr Kind auch wirklich auf die "richtige" Schule zu schicken.

AP
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