Krieg in der Ukraine Zwei Monate Sommeroffensive: Hohe Verluste, geringe Gewinne – so wird der Krieg weitergehen

Die Ukraine wird 49 Kampfpanzer Leopard 1 aus den Beständen eines belgischen Waffenhändlers erhalten.
Die Ukraine wird 49 Kampfpanzer Leopard 1 aus den Beständen eines belgischen Waffenhändlers erhalten.
©  OIP Land Systems
Die Hoffnung, die Russen ins Meer zu treiben, ist zerstoben. An der Front kommt Kiew kaum voran. Vielversprechender als ein bloßes Anstürmen gegen Minenfelder und Befestigungen sind Schläge tief im russischen Hinterland. 

Etwa zwei Monate dauert die ukrainische Sommeroffensive nun an und die Ergebnisse sind bescheiden. An mehreren Stellen der Front konnten Kiews Truppen vorrücken, doch die Geländegewinne wurden teuer erkauft und sie sind begrenzt. Zu Beginn der Offensive sah die Front so aus: In der Mitte lag eine "Grauzone" in der keine Seite dauerhaft Truppen stationierte, dann kam ein mehrere Kilometer breites Gebiet, in dem verstreute Stützpunkte und Gräben lagen, die sogenannte Vorpostenzone. Dort fanden die Kämpfe bislang statt. Danach kam die erste russische Hauptverteidigungslinie. Dahinter staffelten sich weitere befestigte Linien.

Das ganze System ist mit Minenfeldern geschützt. In zwei Monaten ist es Kiew gelungen, die erste russische Hauptverteidigungslinie an drei Stellen zu erreichen und teilweise in sie einzubrechen. Doch bislang gelang es nicht, größere Teile davon zu besetzen, geschweige denn einen tiefen Einbruch zu erzielen. Lässt man die unbesetzte Grauzone außer Acht, sind die ukrainischen Soldaten an diesen Stellen etwa fünf bis maximal sieben Kilometer in die russische Front eingebrochen, dies aber auch nur an einigen Zipfeln.

Große Hoffnungen 

Die Gründe sind vielfältig, aber eines ist ihnen gemeinsam: Die Möglichkeiten der Ukrainer und des westlichen Kriegsgeräts wurden überschätzt, die der Russen massiv unterschätzt. In gewisser Weise wurden die Ukrainer überredet, einen Krieg nach Nato-Handbuch zu führen, und das scheiterte an der russischen Verteidigung. Diese basiert auf Techniken aus dem Zweiten Weltkrieg, die allerdings für die Gegenwart adaptiert worden sind.

Ein Beispiel ist der Einsatz von Minen. Minen galten als "outdated" und spielten in der Nato-Planung keine entscheidende Rolle. In den Kriegsspielen des Westens tauchten einzelne Minenfelder auf, die entweder geräumt oder umgangen wurden. Die Russen hingegen haben die Minen zu einer tödlichen Waffe gemacht. Und das nicht, indem sie besonders moderne intelligente Minen benutzt haben, die Minenfelder entsprechen dem Stand des Zweiten Weltkrieges. Der Unterschied: Die Russen haben nicht einzelne Sperren angelegt, sie scheinen die gesamte Front großräumig vermint zu haben. Die Menge macht es unmöglich, die Sperre zu umgehen. Die Tiefe und Dichte der Felder machen es schwer, sie zu räumen. Erstaunlich ist, dass die Anlage dieser Felder nicht bemerkt worden ist. Und dass man den Russen nicht zugetraut hat, einfache Sprengfallen anzulegen, die das Räumungsgerät ausschalten.

Ein weiteres Beispiel für die westliche Hybris war die Annahme, dass Russland wegen der Sanktionen keine smarten Waffen mehr herstellen kann, da das Land die notwendigen Halbleiter nicht selbst herstellt. An der Front zeigt sich hingegen, dass die Russen derartige Systeme in großer Zahl einsetzen. Russlands Panzer- und Artilleriekiller Nummer Eins ist die Lancet Drohne. Für sie werden spezielle Chips und Ein-Platinen-Computer benötigt, dennoch wurden geradezu atemberaubende Produktionszahlen gemeldet. Gleichzeitig scheint Russland Engpässe bei der Panzerproduktion beziehungsweise Modernisierung etwa bei Wärmebildkameras und Zieloptiken überwunden zu haben. Die Liste des Unterschätzens ließe sich weiter fortführen.

Verluste als Staatsgeheimnis 

Das Ergebnis sind große ukrainische Verluste. Auch am westlichen Kriegsgerät. Schon in den ersten Tagen gingen Schützenpanzer vom Typ Bradley und die hochgelobten Leopard 2 Panzer in Flammen auf. Wie groß die Verluste sind, ist umstritten, da kaum abgeschätzt werden kann, ob beschädigte Fahrzeuge in der Kampfzone geborgen und repariert werden können. Die Verluste an Soldaten sind Kiews bestgehütetes Geheimnis, jüngste Berichte in der "New York Times" über das Ausmaß der Verluste und der "Washington Post" über die Menge an Amputationen lassen annehmen, dass die wirklichen Verluste weitaus höher sind als die offiziellen Zahlen.

Ausbau der Verteidigung 

Wenn nicht ein Wunder geschieht oder ein mysteriöser Geheimplan hinter der Offensive steht, ist es unwahrscheinlich, dass Kiew in diesem Jahr gelingen wird, große Gebiete zu befreien. Während die Ukraine die Offensivkraft der Streitkräfte abgenutzt hat, zeigen Satellitenaufnahmen, wie die Russen die zwei Monate genutzt haben. Sie haben ihre Befestigungen hinter der aktuellen Front massiv ausgebaut. Und auch hier gibt es einen Unterschied zum Zweiten Weltkrieg: Damals wurde im Wesentlichen mit der Hand und dem Spaten geschanzt, heute setzt man normale Baumaschinen wie Großbagger und Radlader ein. In kurzer Zeit können so gewaltige Gräben abgelegt und Bunker gebaut werden. Schon im Syrien-Krieg wurden auf diese Weise ganze Straßen in Tunnel verlegt.

Schläge in der Tiefe 

Anstatt der erhofften schnellen Entscheidung durch einen Vormarsch bis zum Meer, verwandelt sich das Geschehen in einen Abnutzungskrieg. Der kann aber derzeit an der Front nicht zu einem Erfolg werden. Wenn Angriffe immer wieder durch Minenfelder, gegen befestigte Stellungen vorgetragen werden und der Gegner bei Artillerie und Luftunterstützung überlegen ist, werden die angreifenden Soldaten höhere Verluste erleiden als die Russen in ihren Stellungen. Kiew muss den Krieg ins Hinterland tragen. Mit Schlägen, die Russland schaden, der Ukraine aber keine weiteren Verluste bescheren. Und das geschieht bereits. Erfolgreich sind die Angriffe mit Marschflugkörpern wie der Storm Shadow, die Brücken und russischen Depots treffen. Dazu kommen sind aufgerüstete Drohnen aus eigener Produktion großer Reichweite, die Industrieanlagen, Militärstützpunkte und ähnliche Ziele bis in das Gebiet von Moskau treffen können. Wasserdrohnen können nicht nur gegen Kriegsschiffe eingesetzt werden, sie können den russischen Schiffsverkehr über das Schwarze Meer komplett blockieren.

Wie werden die Verluste des Materials ersetzt?

Aber auch hier ist der Erfolg nicht sicher. Kiew treibt durch diese Angriffe die Kosten für Putins Angriffskrieg nach oben. Die Hoffnung dabei ist, dass diese Angriffe dazu führen, dass der Kreml die Truppen nicht mehr versorgen kann – und ein Mangel an Ausrüstung und Munition der Russen dann doch erfolgreiche Bodenoperationen möglich macht.

Doch auch Russland nutzt mit beinahe täglichen Drohnen- und Raketenangriffen die Infrastruktur der Ukraine ab. Dazu sind Putins Truppen im Norden der Front selbst wieder in die Offensive gegangen. Bislang allerdings mit sehr bescheidenen Erfolgen. Dennoch ist es denkbar, dass Russland an zwei Stellen einen Kampf wie in Bachmut wiederholen könnte. Für Kiew gäbe dann keine Kampfpause an der Front, Russland würde der Ukraine dann erneut einen Abnutzungskrieg nach eigenen Bedingungen aufzwingen.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Wenn dieser Krieg noch jahrelang andauert, wird die Neuproduktion von Kriegsgerät den Kampf entscheiden, weil Verluste und Verbrauch nicht ewig aus den Magazinen ausgeglichen werden könnten. Im Prinzip ist die Industrie der westlichen Unterstützer Kiews viel leistungsfähiger als die Russlands. Doch Russlands Rüstungsindustrie arbeitet bereits unter Kriegsbedingungen und scheint die Engpässe durch Sanktionen überwinden zu können. Der Westen hingegen hat neues Kriegsmaterial zwar bestellt, ist aber von einer generellen Kriegswirtschaft jedoch weit entfernt.

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