Krieg in der Ukraine Höhe 215 und eine verlassene Fabrik – an diesen zwei Orten zeigt sich die mörderische Taktik des Krieges 

Ukrainische Soldaten feuern einen kroatischen Mehrfachraketenwerfer ab.
Ukrainische Soldaten feuern einen kroatischen Mehrfachraketenwerfer ab.
© Roman Chop / dpa
Auf den ersten Blick bewegt sich die Frontlinie kaum, doch tatsächlich wird erbittert um jeden Graben und jedes Gehöft gekämpft. Die Front hat sich in einen Fleischwolf verwandelt. Mit schweren Verlusten werden geringe Bodengewinne erkauft. 

Seit über einem Monat versuchen die ukrainischen Streitkräfte, die Verteidigungsanlagen der russischen Armee zu durchbrechen. Bislang mit geringen Erfolgen, an einigen Stellen gelang es ihnen, die Vorpostenlinien der Russen einzunehmen und sie einige Kilometer zurückzudrängen. Das aber zu einem hohen Preis. Die "New York Times" gibt an, dass Kiew Verluste von 20 bis 30 Prozent hinnehmen müsse. Diese Prozentzahlen beziehen sich nicht auf die gesamten Streitkräfte, wie teilweise behauptet wurde, sondern auf die eingesetzten Truppen.

Das Elend der Kämpfe zeigt sich an zwei Stellen der tausend Kilometer langen Front. An den Höhen südlich von Bachmut sind die Ukrainer offensiv. Die Höhen vor Klischtschijiwka haben für sie strategische Bedeutung. Der befestigte Höhenzug liegt vor dem Ort. Wie häufig in der Ostukraine liegen die Ortschaften in einer Senke, in einem Talgrund entlang eines Wasserlaufes. Diese Orte sind von sanften Hügeln umgeben, bei Klischtschijiwka erheben sie sich etwa 70 Meter über das Niveau der Siedlung. Von dort kann der Ort eingesehen und beschossen werden. Die Siedlung wird von zwei Befestigungssystemen auf den nördlichen Hügeln beschützt. Der Ort selbst und das ganze Tal sind nicht lange zu verteidigen. Fallen die Gräben auf der Höhe, würden die Russen auf die Zone vor der Fernstraße TO513 zurückfallen. Damit wäre die Ukraine dem großen Ziel, Bachmut einzukesseln, zumindest im Süden ein großes Stück vorangekommen.

Entscheidendes Grabensystem 

Seit Wochen wird daher um die Gräben gekämpft. Trotz der strategischen Bedeutung setzten beide Seiten jeweils nur wenige Soldaten ein. Größere Formationen könnten keine Deckung finden und würden von der Artillerie des Gegners zerstört werden. Immer wieder greifen die Ukrainer an. Und bereits zweimal konnten sie die Grabensysteme besetzen und die Russen so unter Druck setzen. Die Bedeutung lässt sich aus dem Schock bei pro-russischen Kommentatoren erkennen. Doch beide Mal mussten die Ukrainer, die so mühsam eroberte Position wieder aufgeben. Die gesamte Kampfzone ist nicht besonders groß. Haben sich die Ukrainer festgesetzt, werden sie mit allem beschossen, was den Russen zur Verfügung steht. Darunter auch schwere Fliegerbomben oder die berüchtigten TOS-1A-Werfer. Dem Druck ihrer thermobarischen Raketen sind die Befestigungen nicht gewachsen, aber selbst falls doch, würden die Raketen die Soldaten in einem Unterstand mit der Schockwelle des Luftdruckes töten. Den folgenden russischen Gegenangriffen konnten die Ukrainer bisher nicht widerstehen und die Überlebenden mussten sich zurückziehen. Wegen der Bedeutung des Ortes ist es anzunehmen, dass Kiew diese Angriffe fortsetzen wird. Solange, bis es einmal gelingt, die Stellung auch zu halten. Tatsächlich fällt es den Russen immer schwerer, das Grabensystem zu halten. Am 22. Juli sieht es so aus, als könnten sie einen dauerhaften Erfolg erreichen, weil ihre Soldaten auch die etwas südlich gelegene Siedlung Andriivka erreicht haben. Wenn es ihnen gelingt, sich dort festzusetzen, können sie die Russen von zwei Seiten unter Feuer nehmen.

Versorgung durch eine Todeszone 

Wenn die Russen offensiv werden, finden sie sich im gleichen Dilemma wieder. Nördlich vom russisch besetzten Marjinka und südlich von Krasnogorowka, das unter Kiewer Kontrolle steht, liegt eine verlassene Industrieanlage. Diese konnten die Russen fast im Handstreich nehmen. Von dort aus bedrohen sie die ukrainischen Stellungen in Krasnogorowka. Die Anlagen mit ihren dicken Mauern und Kellern bieten ihnen nun Schutz. Zumal die Ukrainer sich über ein offenes Feld nähern müssen. Und dennoch sind die Russen in keiner guten Position. Um das Werk zu erreichen, müssen sie etwa zwei Kilometer offenes Gelände überqueren. Mit rasender Geschwindigkeit überqueren ihre Schützenpanzer diese Todeszone. Viele entkommen so den Drohnen und der Artillerie des Gegners, aber nicht alle.

Diese Situation hat es im Ukrainekrieg schon häufiger gegeben. Eine Seite hält eine vorteilhafte und wichtige Position, doch dem Gegner gelingt es, eine Feuerkontrolle über die Verbindungswege aufzubauen. Über Tage und Wochen erleiden die Verteidiger dann Verluste, wenn sie Nachschub hinein und Verletzte hinausbringen wollen. 

Das Werk, wie auch die Höhe zeigen, wie brutal und blutig dieser Krieg verläuft. Die Strategen spielen Schach gegeneinander. Sie besetzen Baumreihen, rücken ein Feld vor oder schneiden den Nachschub in ein Dörflein ab. Geringste Geländegewinne werden jedoch erst mit wochenlangen, verlustreichen Kämpfen erreicht. Von diesen Orten gibt es Dutzende. Manchmal tauchen Drohnenvideos auf, die das Elend dieses Krieges zeigen. Felder, die von Toten und Leichenteilen bedeckt sind. Soldaten, die sich in einem verlassenen Graben in Sicherheit bringen wollen und nur in eine Todesfalle aus Sprengladungen geraten. Verletzte, die im Niemandsland zurückgelassen wurden, und die sich selbst töten, um die Schmerzen zu beenden.

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