Festnahme in Russland 15 Jahre lang war er Putins mordender Handlanger – nun wird Igor Girkin selbst beseitigt

Igor Girkin wird dem Haftrichter vorgeführt
Igor Girkin wird in Moskau dem Haftrichter vorgeführt. In den letzten Jahren entwickelte sich der ehemalige Warlord zum unbequemen Wortführer von Ultranationalisten 
© Kirill Zykov / Sputnik Moscow Russia PUBLICATION / Imago Images
Jahre lang mordete Igor Girkin im Auftrag Wladimir Putins. Er war derjenige, der den Krieg in die Ukraine trug. Doch der Held war schnell verbrannt. Nun will das Regime ihm ein Ende machen. 

"Ich muss bedauern, dass Putin keine Frau ist. Eine nicht allzu kluge Frau mit einem schwachen Charakter könnte wenigstens talentierte Liebhaber haben. Dies wäre natürlich Glücksache, aber es bestünde zumindest eine Chance. Kabajewa hat es leider nicht gebracht." 

Diese Worte textete Igor Girkin am 19. Juli auf seinem Telegram-Kanal. In seinem Ausfall gegen den russischen Staatschef und seine versteckte First Lady wurde er noch deutlicher: 

"23 Jahre lang befand sich an der Spitze des Landes ein Nichts, dem es gelang, einem bedeutenden Teil der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen. [...] Weitere sechs Jahre unter der Herrschaft dieser feigen Mittelmäßigkeit wird das Land nicht überleben", lautete sein Verdikt. 

Zwei Tage später war Girkin festgenommen. Ihm wird Extremismus zu Lasten gelegt. Beamte des Ermittlungskomitees hätten ihn abgeführt, meldete seine Frau Miroslawa Reginskaja am Freitag. Noch am Nachmittag wurde er in Moskau dem Haftrichter vorgeführt. 

Igor Girkin mordete 15 Jahre lang für Wladimir Putin 

Mit Girkin lässt Putin einen Mann verhaften, der ihm einst treu gedient hat. Auch wenn man dies angesichts der letzten Statements kaum vermuten dürfte, war Girkin 15 Jahre lang der mordende Handlanger Putins. Bereits im zweiten Tschetschenienkrieg hat er eigenen Angaben zufolge blutige Säuberungsaktionen durchgeführt – unter dem Oberbefehl Putins, der am 1. Oktober 1999 der russischen Armee den Befehl erteilte, die Grenze zum tschetschenischen Landesteil zu überschreiten. 

Girkin war auch derjenige, der den Krieg in die Ukraine trug. Im Sommer 2014 führte im Donbass kein Weg an dem FSB-Offizier vorbei: Unter dem Pseudonym Igor Strelkow (abgeleitet vom russischen Wort für Schütze) leitete er die vermeintlichen prorussischen Separatisten im Kampf gegen die ukrainische Armee an, koordinierte als "Verteidigungsminister" der selbstproklamierten Volksrepublik Donezk die Einnahme von Skawjansk und wurde in Russland als Kriegsheld gefeiert. Der Mann mit dem Bürstenschnurrbart war lange das Gesicht der Separatisten – im Auftrag Putins. 

Im Sommer 2014 hatte sich Girkin gewissermaßen zum Nationalhelden entwickelt. Er selbst behauptete, zum größten Teil eine unabhängige Figur gewesen zu sein – für den Kreml vielleicht sogar zu unabhängig. Und zu beliebt. In Moskau hingen Plakate, auf denen er für Neurussland warb. Er war derjenige, der an der Front das russische Volk gegen die "ukrainischen Faschisten" verteidigte, während Putin für die Abendnachrichten Leopardenbabys streichelte.

2014 verschwand Girkin von der ukrainischen Bühne 

Dann kam die entscheidende Zäsur: Am 17. Juli wurde eine Passagiermaschine der Malaysia Airlines auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine abgeschossen. Mittlerweile steht fest: Girkin war einer derjenigen, der den Abschuss des MH17-Flugs zu verantworten hatte. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl vor. Kurz nach dem mutmaßlichen Abschuss der Passagiermaschine veröffentlichte die Regierung in Kiew Audiomitschnitte, auf denen ein Gespräch zwischen ihm und einem weiteren Rebellenführer über den Abschuss der Passagiermaschine zu hören ist.

Während das niederländische Strafgericht acht Jahre lang gebraucht hat, um die Schuld von Girkin festzustellen und ihn wegen Mordes zu lebenslanger Strafe zu verurteilen, wusste Putin bereits am 17. Juli 2014, wer für den Abschuss des MH17-Flugs verantwortlich war. 

Die Kultfigur war nun beschädigt. Wenige Wochen nach dem Abschuss verließ Girkin die Ukraine und kehrte nach Moskau zurück. Seitdem stehe er auf einer schwarzen Liste, berichtete er gegenüber dem "Guardian" bereits vor sieben Jahren. Im russischen Staatsfernsehen würde ihm keine einzige Sendeminute gewährt werden. "Für sie bin ich eine unbequeme Figur. Sie wissen nicht, was sie mit mir anfangen sollen: Bin ich ein Held oder ein Terrorist? Sie können mich nicht festnehmen und ins Gefängnis stecken, denn das würde als Eingeständnis gegenüber dem Westen gelten. Mich auszuzeichnen können sie genauso wenig, also sitze ich zwischen den Stühlen." 

"Wir weigern uns, das derzeitige politische Regime zu unterstützen"

Dieser Balanceakt ist nun zu seinen Ungunsten entschieden worden. Lange Jahre ließ der Kreml Girkin gewähren. Gleich zu Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine verweigerte Girkin in einer Deklaration der "All-russischen nationalen Bewegung", deren Vorsitzender er selbst war, Putin die Gefolgschaft. "Wir weigern uns, das derzeitige politische Regime zu unterstützen", hieß es damals. Die folgenden anderthalb Jahre verbrachte Girkin damit, die russische Regierung mit Kritik zu überziehen. Von Verteidigungsminister Sergej Schoigu über den gestürzten Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin bis zu Putin selbst – alle bekamen ihr Fett weg. 

Der ehemalige Geheimdienstoffizier warf Putin Feigheit und Inkonsequenz vor. Mit der Annexion der Krim habe der Kreml-Chef den "Rubikon überschritten", doch dann sei es zu einem unerwarteten und unlogischen Stillstand gekommen. Putin habe sich weder nach vorne getraut noch einen Rückschritt gewagt. "Er hat keine Ideen und scheint auf ein Wunder zu warten. Er steckt mitten im Sumpf fest", sagte Girkin noch zu Kriegsbeginn über den Kreml-Chef. 

Die größte Gefahr droht Putin von rechts 

Während andere Menschen in Russland wegen leeren Zetteln, die sie in der Öffentlichkeit hochhielten, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, kam Girkin mit solchen Statements durch. Seine FSB-Vergangenheit sorgte für seinen Schutz. Im russischen Staatssystem ist der Inlandsgeheimdienst eine Instanz, die keine höhere Macht kennt. Auch Putin ist ein Gewächs dieser Instanz. 

Doch nach dem Aufstand von Jewgeni Prigoschin hat Putin deutlich erkannt: Die größte Gefahr droht ihm von rechts. Von den Ultranationalisten und Kriegsfanatikern, die es schaffen die unzufriedenen radikalen Kräfte im Land zu bündeln. Jene, die eine Niederlage Russlands kommen sehen und langsam, aber sicher, erkennen, dass die Schwachstelle im Kreml sitzt. 

Girkin stieg in den letzten Jahren zu einem der prominentesten Wortführer dieser radikalen Gruppierungen auf. Einen zweiten Prigoschin kann sich Putin aber nicht leisten. Und so fällt Girkin, der 15 Jahre lang für Putin gemordet hat, nun selbst einer Säuberungswelle zum Opfer.