Der Blitzsieg, den Wladimir Putin in der Ukraine angestrebt hat, ist ihm nicht gelungen. Am Morgen des dritten Tages der russischen Invasion ist Kiew fest in der ukrainischen Hand. Die russischen Truppen stoßen auf erbitterten Widerstand. Die ukrainischen Streitkräfte haben den russischen Truppen nach eigenen Angaben seit Beginn der Invasion schwere Verluste zugefügt. 3500 russische Soldaten seien getötet und 200 weitere gefangen genommen worden, teilte das ukrainische Militär am Samstag mit. Zudem seien 14 Flugzeuge, 8 Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden.
Die ukrainischen Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Man muss davon ausgehen, dass diese überhöht sein könnten, um der Moral der ukrainischen Soldaten nicht zu schaden. Und doch werden diese Zahlen näher an der Wahrheit sein als die Angaben aus Russland: "Es gibt keine Verluste bei den russischen Streitkräften", erklärte Generalmajor Igor Konaschenkow, Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, auf einer Pressekonferenz am Freitag.

"Dreiste, absurde Lüge"
Bilder und Videoaufnahmen aus der Ukraine, wo tote oder gefangene russische Soldaten gezeigt werden, strafen ihn Lügen. "Ein Satz, aber er enthält die Quintessenz der staatlichen Lügen. Es ist nicht nur eine Lüge – sondern eine dreiste, absurde und leicht widerlegbare Lüge", urteilt Leonid Wolkow, einer der wichtigsten Mitstreiter von Alexej Nawalny. "Es ist nicht nur eine Lüge – sondern Verrat, Verschmähung von Menschenleben. Und wenn Soldaten sterben? Dann haben sie nie existiert. Eine Minute vor dem Tod werden sie aus dem Militärdienst ausgeschlossen", prangert er die Praxis an, die bereits in der Vergangenheit bei militärischen Verlusten zur Anwendung kam.
Wut über Ukraine-Krieg in Russland
Grund genug zum Vertuschen hätte der Kreml: In der russischen Bevölkerung stößt der Krieg auf Wut, Angst und Empörung. Sollten die russischen Soldaten in Särgen in die Heimat zurückkehren, könnte die Stimmung in Russland endgültig kippen. "Die Russen lieben es, wenn Putin schnell und elegant Siege erringt, wie etwa im Fall der Krim oder auch in Syrien. Aber wenn seine Siege von großen Opfern begleitet werden, wird die russische Gesellschaft das nicht akzeptieren", erklärte der US-Politologe Leon Aron im Gespräch mit dem stern, warum Putin sich so sehr vor Verlusten fürchtet.
Noch bevor die Situation in der Ukraine eskaliert war, wollten 42 Prozent der Russen Putin 2024 nicht mehr im Amt des Präsidenten sehen. Die Spaltung werde sich noch vertiefen, prognostiziert Aron, Leiter der russischen Forschungsabteilung am American Enterprise Institute in Washington (AEI), eines konservativen US-amerikanischen Think Tanks.
Warnung aus Großbritannien
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace erinnerte in der vergangenen Woche in einem Interview mit "The Telegraph" daran, dass die russische Armee bereits in der Vergangenheit mobilen Krematorien präsentiert hatte. "Sie haben schon früher mobile Krematorien eingesetzt, um den Truppen auf dem Schlachtfeld zu folgen, was gelinde gesagt beängstigend ist.“
"Wenn ich Soldat wäre und wüsste, dass meine Generäle so wenig Vertrauen in mich hätten, dass sie mir mit einem mobilen Krematorium folgen, oder ich die Mutter oder der Vater eines Sohnes wäre, der in einem Kampfgebiet eingesetzt wird, und meine Regierung die Verluste mit einem mobilen Krematorium vertuschen, wäre ich zutiefst besorgt", sagte Verteidigungsminister Ben Wallace der Zeitung.
Tatsächlich hat Russland nie ein Geheimnis aus den mobilen Krematorien gemacht. Sie wurden sogar im russischen Staatsfernsehen angepriesen.
Eltern erkennen ihre gefangene Söhne
Auch was Gefangene angeht, schweigt der Kreml. Am Samstag wurde bekannt, dass Soldaten aus der russischen Republik Dagestan höchstwahrscheinlich in der Ukraine in Gefangenschaft geraten sind. Dies wird von Angehörigen der Soldaten berichtet, die Videos und Fotos von ihnen erhalten haben. Das russische Verteidigungsministerium weigert sich, diese Information zu bestätigen oder zu widerlegen, erklärte Swetlana Golub, Vorsitzende des Vereins "Union der Komitees der Soldatenmütter Russlands", das sich dem Schutz der Rechte von Soldaten und Wehrpflichtigen verschrieben hat.
"Unsere Seite bestätigt nicht offiziell, dass es Gefangene gibt, aber von der ukrainischen Seite haben wir eine solche Information. Die Eltern haben ihre Kinder erkannt", sagte Golub gegenüber "Kawkaz.Realii", einem lokalen Ableger von "Radio Swaboda". Sie stellte deutlich, dass die Familien, die sich an sie wenden, aus verschiedenen Regionen stammen, darunter zwei Familien aus Dagestan. Die Angehörigen seien bereit, die gefangenen Soldaten abzuholen, "aber das Verteidigungsministerium schweigt offiziell."
Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Gerashchenko, kündigte nun die Eröffnung einer Hotline im Verteidigungsministerium des Landes für Angehörige des russischen Militärs an.
"Die Russische Föderation sollte wissen, wie viele solcher Leichen auf ukrainischem Boden liegen"
Unterdessen wandte sich die ukrainische Regierung an das Rote Kreuz. "Die Ukraine bittet das Rote Kreuz, bei der Beseitigung der Leichen toter russischer Soldaten zu helfen", appellierte die stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine. "Wir bitten das Internationale Rote Kreuz um Hilfe bei der Überführung der Leichen russischer Soldaten in die Russische Föderation. Das sind Tausende Leichen von Okkupanten... Die Russische Föderation sollte wissen, wie viele solcher Leichen auf ukrainischem Boden liegen."