"Erwachsen werden ist barbarisch", sagt Kapitän Hook zu Peter Pan, "denk nur an all die Pickel!" Seltsame Worte für einen Märchenbösewicht, den man bisher nur als Witzfigur aus Disney-Zeichentrickfilmen kannte. Doch "Peter Pan", die opulente Realverfilmung des Kinderbuchklassikers hält sich weit getreuer an den Originaltext als die Vorgänger - und erinnert daran, dass klassische Kinderliteratur längst nicht so harmlos ist, wie man es von Disney-Versionen gewohnt ist.
Ausgangspunkt der Realitätsflucht ist das viktorianische London: Zunächst graust sich auch Wendy vorm Erwachsenwerden - der Wildfang wird von seiner prüden Tante unter die Fittiche genommen, die das Mädchen zur jungen Dame erziehen will. Just in diesem Moment taucht Peter Pan auf, bezaubert von den Abenteuermärchen, die Wendy ihren kleinen Brüdern erzählt. Der ewig junge Peter Pan lockt die Kinder auf einen Trip in seine Heimat Nimmerland, wo sie das volle Programm erwartet: Piraten, Indianer, Feenstaub, die "verlorenen Jungs" und das tickende Krokodil.
Surreal bebildert
Kaum angekommen, setzen Peter Pan und Käpt'n Hook ihr Duell fort, während Wendy zwischendurch selbst mit einer Piratenlaufbahn liebäugelt. Dank Computeranimation passt sich die Geschichte an veränderte Sehgewohnheiten an und ist recht surreal, gelegentlich gruselig, bebildert: Die Kinder werden von Käpt'n Hook auf die Planke geschickt, Nixen fletschen Vampirszähne, Glöckchen ist ein eifersüchtiges kleines Biest; einmal zeigt Käpt'n Hook gar seinen Armstumpf hinter dem Haken vor.
Übermaß an pädagogischen Zeigefingern
Sehr schade aber, dass der mit verschwenderisch-romantischer Üppigkeit ausgestattete Abenteuerurlaub vorrangig zur Therapie für Peter Pans "Peter-Pan-Syndrom" dient, wie Psychologen mal die Flucht vor Verpflichtungen bei männlichen Berufsjugendlichen genannt haben. Ziemlich penetrant richten sich auf dieses Wunderland mehrere pädagogische Zeigefinger und lassen potentiellem Charme und Spielereien zu wenig Raum zur Entfaltung - wie sich besonders bei Glöckchen zeigt, der Fee im allerliebsten Blätterkostüm, von der man leider nur Augenblicke erhascht.
Hübsch und langweilig
Vielleicht liegt's an den beiden Hauptdarstellern, dass die Geschichte nicht recht prickelt: Während Jeremy Sumpter angesichts der kussfreudigen Wendy allzu unbedarft wirkt, ist die großäugig-schmollmündige Rachel Hurd-Wood sowohl als Nymphe mit früh erwachter Sinnlichkeit wie als früh vertantete Mahnerin eine Kindfrau nach Hollywood'schem Schema: hübsch und langweilig. Zu ausdruckslos jedenfalls, um die Gratwanderung zwischen dem erstaunlich deutlichen sexuellen Subtext besonders zu Beginn der Geschichte, den Rollenwechsel zur "Mutter" der "verlorenen Kinder" und ihre Mission als Pseudo-Gouvernante am Ende glaubhaft zu machen.
Dass Regisseur P.J. Hogan sich am ursprünglichen Theaterstück und Roman orientiert, ist an sich bemerkenswert - doch es fehlt das Augenzwinkern, um unbeschadet den Stoff ins Heute zu retten. Dabei bewies Autor James M. Barrie selbst erstaunlichen Durchblick: Dass Wendys braver Papa und der grimmig-verbitterte, aber irgendwie auch verführerisch-laszive Hook vom gleichen Schauspieler dargestellt werden - Jason Isaacs, als "Lucius Malfoy" auch Harry Potters Todfeind - entspricht viktorianischer Aufführungspraxis. Sigmund Freud würde vergnügt auf seiner Zigarre kauen.