ROMANZE Amélie, mon Amour

Wie Jungstar Audrey Tautou in »Die fabelhafte Welt der Amélie« entführt - und die übrige bezaubert.

Welch ein Glück für sie, dass Modigliani tot ist.

Mit diesem verträumten Körper und dem beseelten Gesicht hätte der sie nie wieder aus dem Atelier gelassen, möglicherweise auch nicht aus den Armen. Der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet war jedenfalls schwer beeindruckt, als er die 23-jährige Audrey Tautou auf einem Filmplakat entdeckte. Er hatte gerade die Hauptrolle für einen Film zu vergeben, dessen Handlung in jedem besseren deutschen Poesiealbum nachzulesen ist: »Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück. Denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück.«

Womöglich hat die schlichte Botschaft die Gralshüter von Cannes dazu veranlasst

, den Film »Die fabelhafte Welt der Amélie« nicht im diesjährigen Wettbewerb zuzulassen - womit sie sich unsterblich blamierten. Denn Amélie und ihre Protagonistin Audrey Tautou sind auf dem besten Wege, zum französischen Nationalheiligtum zu werden. Während die Kritiker in Superlativen baden, von einer »Ode« (»Le Monde«) sprechen und der »Ankunft einer Außerirdischen« (»Süddeutsche Zeitung«), stürmt toute la France die Kinos. Zwei Millionen Besucher in den ersten beiden Wochen, das hat es lange nicht gegeben. Staatspräsident Jacques Chirac hat sich den Film auch schon zeigen lassen.

Sie alle ließen sich bezaubern von Amélie

, die in einem winzigen Café am Montmartre serviert und als Kind einen Goldfisch hatte, der sich das Leben nehmen wollte. Nun ist sie groß, schön und gütig. Eine Fee, die alles zum Guten wendet. Der einsamen Kriegsbraut schickt sie gefälschte Liebesbriefe, die der Gefallene nicht mehr schreiben konnte. Der böse Gemüsehändler wird bekehrt, und überhaupt sind all die verkannten Genies und melancholischen Hypochonder, die das Café bevölkern, glücklich, wenn sie sich in ihr Leben einmischt. Nur Amélie ist es nicht wirklich, weil Nino, der nette junge Mann vom Sexshop nebenan, nicht in ihre Arme findet, trotz aller Magie. Aber da helfen dann jene, denen sie geholfen hat, und am Ende klappt es auch mit dem Verkäufer aus dem Sexshop.

Das ist ein bisschen so gemacht wie »Lola rennt«,

nur konsequenter. Eine Mischung aus Menschen und Puppen, Comics, Computerwirklichkeiten und schnellen Schnitten. »Von fern, aber eben nur von fern« fühlten sich Kritiker an Truffaut erinnert, es fehle bloß die Tiefe. Was erste Touristengruppen nicht daran hindert, auf Amélies Spuren wandern. Denndas Caf? in der Rue Lépic 15 gibt es wirklich, und sogar der Gemüseladen in der Rue des Trois-Fréres ist real, wenn auch viel kleiner als im Film.

Nur Amélie, die schon glücklich ist

, Staubkörnern zuzusehen, die »in der Sonne tanzen«, und die sich ärgert, wenn ihr »Regen in den Kragen tropft« - die ist nicht mehr da. Amélie ist wieder Mademoiselle Tautou geworden. Und die ist jetzt ein Star - eine hübsche, freundliche junge Frau, die sich vom plötzlichen Ruhm angeblich nicht beeindrucken lässt. »Mais non!«, beteuert sie und fügt hinzu, dass sie noch vor kurzem eine »kleine Hafenhure« spielte. Und nun könne sie, die vor zwei Jahren für ihren Auftritt in der Komödie »Schöne Venus« immerhin schon als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, halt Rollen ablehnen, die sie nicht mag.

Und Briefe kommen jetzt in Massen.

Von Menschen, die auch Gutes tun wollen. Kleine Mädchen berichten, sie hätten der armen Nachbarin heimlich das Unkraut im Garten gezupft oder einem Blinden in der U-Bahn erzählt, was der nicht sehen kann. Ein etwas größeres Mädchen bat um einen Liebeszauber sowie um die Privatanschrift des jungen Mannes aus dem Sexshop im Film. Vergebens: Amélie zaubert nicht mehr.

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