Natürlich brauchte man sich überhaupt keine Illusionen machen. Wie bei allen rund tausend Filmfestivals, die übers Jahr veranstaltet werden, sind auch in Toronto die Pressekonferenzen Placebo-Veranstaltungen, auf denen vorwiegend tiefer gelegte Fragen gestellt und Allgemeinplätze unters Medienvolk gestreut werden. Vermutlich schleppt sich ein Großteil der Kollegen ohnehin nur in der Hoffnung dorthin, dass irgendetwas völlig Unvorhergesehenes passiert. So wie jemand, der sich eigentlich gar nicht für Eiskunstlauf interessiert, aber trotzdem mit dem geheimen Wunsch auf einen spektakulären Sturz zuschaut. Für die Ausnahme sorgte mal wieder unser Lieblings-Georgie. Frage: "Mr. Clooney, welcher Film hat Sie zuletzt zum Weinen gebracht?" Antwort: "Der Anfang und das Ende von 'The Peacemaker' und die Premiere von 'Batman & Robin'"
Immerhin sorgt eine Regelung hier für die eine oder andere Abwechslung. Im Gegensatz zu den großen Drei - Berlin, Cannes und Venedig - dürfen die Fotografen über die gesamte Distanz des Frage-Antwort-Spiels knipsen. Die schreibende Gilde ist darüber wenig erfreut, weil vieles von dem, was die Filmschaffenden sagen, im Klackadiklack-Gewitter untergeht. Lustig wird's immer dann, wenn ein, meist berühmter, Schauspieler beim Sprechen über das Normalmaß hinaus gestikuliert. Bei Jodie Foster etwa genügte bereits eine ausholende Armbewegung, um bei den Lichtbildnern orgiastisches Zeigefingerzucken auszulösen.
Sean Penn reagierte mit standesgemäßem Sarkasmus: "Leute, ich gebe Euch jeden Gesichtsausdruck, den ihr wollt", und kehrte dann schnell wieder zur Tagesordnung zurück: "Nein, hört auf jetzt! Das ist das schlimmste Geräusch der Welt!" Wer mit Madonna verheiratet war, weiß, wovon er spricht. Brad Pitt indes nahm das Ganze gelassen wie der momentan meistfotografierte Schauspieler der Welt. Als er sich beim Beantworten einer Frage Gedanken versunken am Hals kratzte und die Horde losklackadiklackte, hielt das Objekt der Begierde zwei Sekunden inne und begann, in der Nase zu bohren und im rechten Ohr zu herumzupulen.
Problematischer wird die Angelegenheit, wenn die Situation nicht mehr kontrollierbar ist. Das ist vor allem auf den zahllosen Festival-Parties der Fall. Mittlerweile artet es bei den Gästen zur olympischen Disziplin aus, mit dem Handy V.I.P.-Schnappschüsse zu machen und sie frisch an Entertainment-Websites weiterzureichen. Auch bei anderen Gelegenheiten negieren die Torontoer mitunter ihr Image vom respektvollen Film-Fan-Völkchen. Als Angelina Jolie im Toy Shop in der Bay Street diverse Mitbringsel für ihre kleinen Racker shoppte, ging auf der Straße nix mehr. Über alles andere wären wir auch überrascht gewesen.
Erwartbar hingegen zur Halbzeit des Festivals: Der Körper sendet erste Erschöpfungssignale aus. Das Schlimmste ist allerdings nicht die Übermüdung, sondern die Folgen der Air Condition. Wie hält man es bloß länger als eine Woche in einem Land aus, wo diese Gefrier-Apparate zum Standard gehören? Zumal hier in Toronto keine subtropischen Klimaverhältnisse herrschen. Muss ein ostkanadisches Kino bei Außentemperaturen von knapp 23 Grad auf 15 Grad runtergefrostet werden? Meine Tischtennisball-Augen und meine Luftröhre, die sich wie eine luftgetrocknete Salami anfühlt, schreien verzweifelt: nein!
Ein klares Ja! hingegen dazu: Kann man innerhalb zweier Tage acht Filme (und das ist noch mittlerer Standard) verkosten, ohne anschließend ins Delirium zu verfallen? Doch vorher geht es zur nächsten Pressekonferenz. Klackadiklack.