Dieser Mann ist wirklich ein Phänomen. Obwohl er am 1. Dezember 87 wird, denkt Woody Allen nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Gerade plant er seinen nächsten Film. Der soll zwar sein letzter werden - doch auch dann kann von Ruhestand keine Rede sein. Allen hat schon Pläne für die Zeit danach.
Der spätere Filmemacher kam als Allen Stewart Konigsberg im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf die Welt, als Sohn eines jüdischen Diamantenschleifers. Obwohl selbst nicht orthodox, schickten die Eltern ihren Sohn auf eine hebräische Schule. Als Jugendlicher verdiente er gutes Geld als Gagschreiber und legte sich bereits im zarten Alter von 16 Jahren den Künstlernamen Woody Allen zu. Schon bald stieg er vom Witzezulieferer zum Drehbuchautor auf, etwa für die "Ed Sullivan Show". Nachdem er 1965 erfolgreich das Drehbuch zu dem Film 1965 "Was gibt's Neues, Pussy?" geschrieben hatte, übernahm Allen 1969 erstmals auch Regie bei einem Film. "Woody der Unglücksrabe" war die erste Mockumentary der Filmgeschichte, ein Film, der wie ein echter Dokumentarfilm daherkommt, aber rein fiktiv ist und das Genre parodiert.
Mit dem Episodenfilm "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten" aus dem Jahr 1972 erlangte Allen Kultstatus. Es ist die satirische Verfilmung eines damals berühmten Sexualkunde-Buches, nimmt aber gleich den gesamten Aufklärungswahn der 70er Jahre aufs Korn. Hier zeigt sich auch erstmals der starke Einfluss Sigmund Freuds auf Woody Allens Schaffen, der bis heute prägend ist. Bereits während seiner Studienzeit hatte Allen auf Rat seines Dekans einen Psychoanalytiker aufgesucht - ein Besuch mit Folgen für die Filmgeschichte.
Woody Allen will nicht der ewige Clown sein
Seine frühen Filme waren oftmals eine Aneinanderreihung von Gags, die immer wieder die Grenze zur Albernheit berühren. Dazu zählen "Bananas" (1971), "Der Schläfer" (1973), aber auch "Die letzte Nacht des Boris Gruschenko" aus dem Jahr 1975, der während Napoleons Russland-Feldzug spielt. Hier kommt aber erstmals ein neuer Ton ins Spiel: Zwar ist auch dieser Film eine Klamotte, darüber hinaus enthält er jedoch einige tiefsinnige Gedanken über Leben und Tod. Passenderweise trägt der Film im Englischen auch den Titel "Love and Death". Er gilt als Brücke zu seinen späteren, ernsteren Filmen. Woody Allen ist erkennbar bemüht, dem sich verfestigenden Image zu entschlüpfen, der ewige Clown à la Charlie Chaplin zu sein.
Dieses Bemühen trug schon bald Früchte: "Der Stadtneurotiker" (Originaltitel: "Annie Hall") geriet 1977 zum künstlerischen Triumph und bescherte Woody Allen zwei Oscars in den Kategorien Beste Regie und Bestes Originaldrehbuch: Mit 42 Jahren war Woody Allen auf dem Höhepunkt angekommen. Der Film betrat inhaltlich wie formal Neuland. Der Regisseur und Autor schuf hier ein ganz eigenes Genre - den Woody-Allen-Film. In Mittelpunkt dieser autobiografisch geprägten Filme steht ein jüdischer Mann mittleren Alters, der in New York lebt, intellektuell überspannt und hochneurotisch ist. Der Preisverleihung im fernen Hollywood blieb der Künstler freilich fern - der passionierte Klarinettist blieb im heimischen New York und spielte mit seiner Jazzband.
Erfolg mit der New-York-Trilogie
Mit seinem übernächsten Film "Manhattan" knüpfte Woody Allen 1979 an den Erfolg von "Der Stadtneurotiker" an. Auch hier steht wieder ein jüdischer Intellektueller im Zentrum, der ein kompliziertes Beziehungsleben hat und auch sonst mit dem Leben hadert. Die Parallelen zwischen der Hauptfigur Isaac Davis und Woody Allen sind offenkundig: Wie Davis hat war auch Allen zu diesem Zeitpunkt zwei Mal geschieden - und hat ebenfalls eine Schwäche für junge Mädchen. 1954 hatte Allen die damals 16-jährige Philosophiestudentin Harlene Rosen geheiratet; die Ehe wurde 1959 geschieden.
Von 1966 bis 1969 war er mit der Schauspielerin Louise Lasser verheiratet, die später in drei seiner Filme mitspielte. Danach war er eine Weile mit Diane Keaton liiert, die zwischen 1971 und 1993 insgesamt in acht seiner Filme mitspielte, so auch in "Manhattan". Für ihre Rolle in "Der Stadtneurotiker" erhielt sie den Oscar als beste Hauptdarstellerin. "Manhattan" ist der zweite Teil der sogenannten New-York-Trilogie, die mit "Stardust Memories" 1980 abgeschlossen wird.
Seit 1980 war Woody Allen mit der Schauspielerin Mia Farrow liiert. Sie spielte zwischen 1982 und 1992 in zahlreichen seiner Filme die Hauptrolle. Auch in "Hannah und ihre Schwestern", seinem größten Triumph der 80er Jahre. Für seinen Film um die Beziehungswirren eine New Yorker Künstlerfamilie erhielt Woody Allen 1987 seinen dritten Oscar in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch.
Bis 1992 waren Woody Allen und Mia Farrow zusammen. Gemeinsam hatte das Paar zwei Adoptivkinder, Dylan und Moses, und einen gemeinsamen Sohn Satchel Farrow. Aus ihrer Ehe mit dem Pianisten und Dirigenten André Previn brachte Farrow die Adoptivtochter Soon-Yi Previn mit in die Ehe. Sie war der Grund für den Auslöser für die dramatische Trennung: 1992 hatte Farrow Nacktfotos der damals 22-jährigen Soon-Yi Previn entdeckt, die Woody Allen gemacht hat. Daraufhin gestand Allen, ein Verhältnis mit ihrer Adoptivtochter zu haben.
Für Woody Allen zu arbeiten, gilt als Ehre
Woody Allens Affäre mit der Adoptivtochter seiner Partnerin geriet in den USA zum Skandal, Allen galt zeitweise als Persona non grata. Das Gericht bezeichnete Allens Verhalten den Kindern gegenüber "missbrauchend und gefühllos". Als Folge drehte der Regisseur 1996 erstmals seit 21 Jahren außerhalb seiner Heimatstadt New York. Der Musicalfilm "Alle sagen: I love you" spielt unter anderem Venedig und Paris.
Auch wenn er keine hohen Gagen zahlen konnte, so kriegte er für alle seine Filme die gefragtesten Schauspieler seiner Zeit. Es galt lange Zeit als Ehre, für Woody Allen zu arbeiten. So spielten hier Julia Roberts, Goldie Hawn und Drew Barrymore mit. Für seinen Film "Celebrity" konnte er zwei Jahre später Leonardo DiCaprio, Charlize Theron, Melanie Griffith, Winona Ryder und Kenneth Branagh gewinnen. Sein Ansehen als Künstler hatte also zu dem Zeitpunkt noch keinen Kratzer abbekommen.
Das sollte sich mit der Zeit ändern: Im Zuge der #MeToo-Bewegung distanzierten sich Kate Winslet, die noch 2017 mit Allen den Film "Wonder Wheel" gedreht hatte, von dem Regisseur. Auch die Veröffentlichung seiner Autobiografie "Apropos of Nothing" (deutsche Ausgabe: "Ganz nebenbei") war von Misstönen begleitet.
Privat scheint Allen hingegen sein Glück gefunden zu haben: Im Dezember 1997 heirateten Woody Allen und Soon-Yi Previn, das Paar hat zwei Kinder adoptiert, Bechet und Manzie, benannt nach den Jazzmusikern Sidney Bechet and Manzie Johnson. Die Familie lebt in einem noblen Townhouse in der Upper East Side von Manhattan.
Neustart in der Alten Welt
Künstlerisch ist bei dem Filmemacher in seinem Spätwerk kein Erschlaffen zu erkennen. Nachdem er 2003 und 2004 mit "Anything Else" und "Melinda und Melinda" zwei klassische New-York-Filme gedreht hatte, wagte er 2005 einen furiosen Neustart in der Alten Welt: Mit "Match Point" erfand sich Woody Allen noch einmal neu. Inspiriert von seiner neuen Muse Scarlett Johansson drehte er einen düsteren Thriller, der Kritiker wie Publikum überzeugte. Es folgten weitere London-Filme, darunter "Scoop - Der Knüller", "Cassandras Traum" und "Ich sehe den Mann deiner Träume".
Auch im Alter ließ Allen in seinem Arbeitstempo nicht nach und drehte im Schnitt einen Film pro Jahr. Und immer wieder sprangen dabei Meisterwerke heraus. Darunter die launige Zeitreise-Komödie "Midnight in Paris" mit Owen Wilson, für die Allen 2012 seinen vierten Oscar erhielt. Auch sein Filmdrama "Blue Jasmine" wurde bei den Academy Awards ausgezeichnet. Für ihre Darstellung einer Frau, die einen dramatischen Absturz von der High-Society-Lady zur Obdachlosen durchlebt, erhielt Cate Blanchett den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Genau das ist der Grund, weshalb Schauspieler so gerne mit ihm arbeiten: Allen verhilft ihnen zu Preisen und Trophäen. Trotz der Missbrauchsvorwürfe seitens seiner Adoptivtochter Dylan Farrow kann der Regisseur deshalb noch immer hochrangige Stars für die Zusammenarbeit gewinnen. In "A Rainy Day in New York" waren dies unter anderem Timothée Chalamet, Elle Fanning, Selena Gomez, Jude Law und Rebecca Hall, um nur einige zu nennen. In seinem 2020 erschienenen Film "Rifkin's Festival" wirkten Oscar-Preisträger Christoph Waltz und Gina Gershon mit.
Ein weiterer Film wird voraussichtlich noch dazukommen - dann war's das. Derzeit bereitet Allen sein finales Werk vor, das den Arbeitstitel "Wasp 22" trägt. "Mein nächster Film wird Nummer 50 sein, ich denke, es ist ein guter Zeitpunkt, damit aufzuhören", sagte der Regisseur der spanischen Zeitung "La Vanguardia". Auch danach werden die Fans nicht ganz auf den New Yorker Künstler verzichten müssen: Woody Allen will sich aufs Schreiben von Romanen verlegen.
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