Nach zwei Jahren Pandemie erwacht der Hamburger Kiez am Wochenende zum ersten Mal wieder aus dem Winterschlaf. Kurz vor Weihnachten hatte der Hamburger Senat im Zuge steigender Infektionszahlen ein Tanzverbot verhängt und die Hamburger Diskotheken damit erneut in den Lockdown geschickt. Ab Freitag ist das Feiern zum ersten Mal wieder erlaubt. Die Öffnung fällt in eine Zeit, in der viele Menschen Weltschmerz, statt Feierlaune verspüren. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen sind durch den Krieg in der Ukraine in weite Ferne gerückt.
Hamburg lockert die Corona-Regeln
Am Donnerstagmorgen ist es noch ruhig auf der Hamburger Reeperbahn. Die Partymeile steht, mit einer Ausnahme im Sommer letzten Jahres, nun bereits zwei Jahre still. Das ist nicht verwunderlich, schließlich kommt hier alles zusammen, was seit Corona undenkbar scheint – tanzen, eng zusammenstehen, mitsingen. Während Fitnessstudios, Restaurants und selbst Bars und Kneipen den ganzen Winter aufblieben, waren es daher auch erneut die Clubs, die als erstes schließen mussten.
Die Ansteckungsgefahr besteht bei einer aktuellen Sieben-Tage-Inzidez von 640 natürlich weiterhin, dennoch endet die Pause an diesem Wochenende. Ab Freitag setzt die Stadt Hamburg die bundesweiten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz um und lockert die Corona-Regeln. Zum ersten Mal sind dann auch die Diskotheken auf St. Pauli betroffen.
Während in Bars und Gaststätten ab dem 4. März lediglich eine FFP2-Maskenpflicht und ein 3G-Zugangsmodell gelten, müssen Besucher:innen von "Tanzlustbarkeiten" weiterhin geboostert oder zweimal geimpft sein und über einen tagesaktuellen Test verfügen. Im Gegenzug darf dann auch wieder ohne Maske gefeiert werden. Auch das Vorglühen an öffentlichen Plätzen ist ab dem Wochenende wieder möglich und das Alkoholverkaufsverbot in den Kiosken Hamburger Ausgehviertel wird aufgehoben. Die Hamburger Clubkultur feiert ihr Comeback.
"Niemand auf St. Pauli ist in Partystimmung"
Für viele jungen Menschen war dieser Öffnungsschritt das Licht am Ende eines langen Winters und ein Symbol dafür, die Pandemie nun endlich hinter sich zu lassen. Nun trübt der Krieg in der Ukraine die Vorfreude. Odin Janoske-Kizildag hat das Dollhouse und die 99-Cent-Bar gegründet. Beide Clubs sind seit Jahren feste Institutionen auf der Großen Freiheit, der wohl bekanntesten Straße auf dem Hamburger Kiez. Auch er schaut zwiegespalten auf das Eröffnungswochenende.
"Natürlich freuen wir uns wieder aufzumachen, etwas anderes bleibt uns wirtschaftlich auch gar nicht übrig." Allerdings will auch bei dem 54-Jährigen in den letzten Tagen keine Feierstimmung aufkommen. Janoske-Kizildag war schon während der Jugoslawien-Kriege Wirt auf dem Kiez. Auch damals blieben die Tanzflächen wochenlang leer, erzählt er. Nach den Ereignissen in der Ukraine fühlt er sich in diese Zeit zurückversetzt. "Wir haben so lange auf diesen Tag hingefiebert, jetzt ist niemand auf St. Pauli in Partystimmung."
Diesen Pessimismus teilt man auf der anderen Straßenseite der Reeperbahn nur teilweise. Alexander Kulick ist Sprecher des Clubs Moondoo. Er hofft, dass die unbeschwerten Momente Möglichkeiten der Solidarität schaffen können. Party und ein Krieg in Europa stehen für ihn nicht im Widerspruch. Stattdessen will man die Wiederöffnung im Moondoo dazu nutzen, seinen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, so Kulick. Der Club plant drei Euro der Eintrittspreise am Wochenende an die "Aktion Deutschland Hilft" zu spenden. Wie viele Besucher kommen werden, vermag Kulick nicht einzuschätzen. "Wir gehen ohne Erwartungen ins Wochenende – aber mit großer Vorfreude."
Clubszene kämpft ums Überleben
Auch dem Hamburger Clubkombinat fällt es aufgrund der weltpolitischen Lage schwer, eine Prognose abzugeben. Der Verband vertritt die Interessen von Clubbetreiber:innen, Veranstalter:innen, Booker:innen und Agenturen gegenüber Politik und Wirtschaft. Geschäftsführer Thore Debor rechnet gegenüber dem stern damit, dass maximal die Hälfte der über 100 Mitglieder am Wochenende wieder die Clubtüren aufschließen wird. Am Donnerstagnachmittag lag den Betreiber:innen kein genauer Wortlaut der Eindämmungsverordnung vor, die ab Freitag Geltung erlangt.
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Somit bleibt für viele Bars und Clubs unklar, wie viele Menschen sie Freitagabend überhaupt beherbergen dürfen. Sicherlich sei beinahe alles besser als ein weiteres Wochenende kompletter Ruhe, meint Janoske-Kizildag. Allerdings lassen sich die Kosten erst ab einer bestimmten Besucherdichte decken. Die Auswirkungen des Krieges und der Inflation gehen auch an den Betreiber:innen nicht spurlos vorbei. Bier, Strom, Heizkosten – alle Preise gehen durch die Decke. Erst Anfang Februar musste die Stadt Hamburg 14 Clubs mit einem Sanierungsfonds in Höhe von 1,15 Millionen Euro retten. Ein wichtiger Schritt, dennoch wirkt es wie ein Tropfen auf den heißen Stein, meint der Kiez-Kenner. "Wir brauchen jetzt endlich wieder Besucher".
Vor der Eröffnung plagen die Diskotheken allerdings nicht nur Geldsorgen. "Neben der kurzen Vorbereitungsphase ist die größte Herausforderung ein extremer Personal- und Fachkräftemangel", so Clubkombinat-Chef Debor. "Viele Clubs benötigen für den erneuten Restart noch ein wenig mehr Vorbereitungszeit und werden erst in den kommenden Wochen ihre Türen öffnen." Wann sie wieder öffnen können, ist unklar.
Hamburger Kiez fährt wieder hoch
Einige Türen werden wohl für immer geschlossen bleiben, meint Odin Janoske-Kizildag. Er hat sich in der Pandemie immer wieder für die Club- und Barszene eingesetzt, ohne die Krankheit klein zu reden oder das Virus zu leugnen. Er verklagte die Stadt fünfmal und stellte sich sogar als parteiloser Kandidat für den Bundestag in Hamburg-Mitte auf. Dennoch hat nicht jedes Geschäft den Weg zurück in die alte Normalität gefunden. Und überhaupt: "So wie es einmal war, wird es wohl nie wieder werden."
Bisher deutet alles darauf hin, dass der Andrang der Gäste am Wochenende noch auf sich warten lassen wird. So war es schließlich bereits vor zwei Wochen, als die ungeliebte Sperrstunde in Bars und Kneipen gefallen ist. Odin Janoske-Kizildag hofft, dass viele Menschen in seinen Clubs ein wenig Abstand vom Krieg und der Pandemie gewinnen können. Es wäre der so gebeutelten Branche zu wünschen. Fest steht: Die kommenden Wochen werden über den Werdegang der Hamburger Clubkultur entscheiden.
Quellen: NDR, Clubkombinat Hamburg, Hamburger Morgenpost