"Harry Potter"? Verherrlicht Magie und Hexerei! "Wer die Nachtigall stört" von Pulitzer-Preisträgerin Harper Lee? Beleidigt Farbige, weil das Wort Nigger vorkommt. Der Weltbestseller "Der Drachenläufer"? Homosexualität, fragwürdiger religiöser Standpunkt und zu vulgäre Sprache. Jedes Jahr machen in den USA Eltern, Bürgerrechtler und Initiativen gegen Schule mobil, um ihnen unliebsame Literatur aus den Lehrplänen und Schulbibliotheken zu verbannen. Knapp die Hälfte der Anträge reichen Interessengruppen ein, 18 Prozent werden von Eltern gestellt, 12 Prozent kommen von religiösen und politischen Gruppierungen, so die Vereinigung der amerikanischen Bibliotheken ALA.
In den allermeisten Fällen scheitern diese Anträge, doch manchmal eben auch nicht. So erwischte es vor 20 Jahren zum Beispiel "Huckleberry Finn". Die Bücherhallen und Schulen der Stadt Renton im US-Bundesstaat Washington mussten Mark Twains Klassiker aus dem Bestand nehmen, weil eine afro-amerikanische Schülerin sich vom Wort "Nigger" in dem 1885 veröffentlichten Buch beleidigt fühlte. Sie könne kein Buch lesen, dass sie und ihre Kultur herabsetze, argumentierte die Schülerin und rief die Initiative "Schüler und Eltern gegen rassistische Verunglimpfungen" ins Leben. Mit Erfolg.
Literaturklassiker unter Dauerbeschuss
John Steinbecks großes Werk "Von Mäusen und Menschen", ausgezeichnet als einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts, war den Eltern aus Norma, Illinois, ein Dorn im Auge. Wegen seiner vulgären Sprache und der deutlichen Kritik am US-Sozialsystem sei das Werk nichts für die Schüler, hieß es.
Zu den am meisten angefochtenen Büchern überhaupt zählt ebenfalls ein Klassiker: "Der Fänger im Roggen" von J.D. Salinger aus dem Jahre 1951. Die vulgäre Sprache, die Darstellung von betrunkenen Minderjährigen und die Sexszenen seien der Jugend nicht zuzumuten, führten Eltern und Initiativen zwischen 1966 und 1999 immer wieder an.
Alles alter Kram mögen sich Jugendliche heute denken, doch auch für sie hält die Liste der angefochtenen Bücher Überraschungen parat. Die Romanvorlagen zu den erfolgreichen Netflix-Serien "Tote Mädchen Lügen nicht" und "A Handsmaid Tale" gehörten nach dem Wunsch so manch besorgter Sittenwächter für immer auf den Index.
Die Woche der verbotenen Bücher
In der Regel werden solche "Challenges", also Verbotsanträge, der ALA gemeldet. Rund 500 Anträge pro Jahr kämen zusammen, so der Verband der Bibliotheken. Die Haltung der Organisation ist ganz eindeutig: Diese Verbotsanträge seien nichts weiter als der Versuch einer Zensur unter dem Deckmantel der Sorge um das Wohl von Jugendlichen. Jedes Jahr in der letzten Septemberwoche trommelt die ALA Buchhändler, Bibliothekare und Journalisten zusammen, um die Verbotsanträge als Steilvorlage für eine Marketingaktion zu nutzen: "Die Woche der verbotenen Bücher." Buchhandlungen werden wie ein Tatort mit Absperrband versehen, Wachpersonal steht vor der Tür und drinnen werden die "verbotenen Bücher" in braunen Papiertüten verkauft. Diese "brown bags" kennt in den USA jeder: Alkohol darf in der Öffentlichkeit auch nur in einer brauen Papiertüte konsumiert werden, um ihn vor Jugendlichen zu verbergen.