Anzeige
Anzeige

Ian McGuire - Nordwasser Der härteste Roman über den Walfang

Das Ende eine grausamen Ära: Die Bayard ist eines von Hunderten Segelschiffen, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts Jagd auf Wale und Robben gemacht haben. Das Wrack liegt seit 1911 im Ocean Harbour auf Südgeorgien.
Das Ende eine grausamen Ära: Die Bayard ist eines von Hunderten Segelschiffen, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts Jagd auf Wale und Robben gemacht haben. Das Wrack liegt seit 1911 im Ocean Harbour auf Südgeorgien.
© Getty Images
Die Sprache in "Nordwasser" ist brillant und widerlich zugleich. Hinter der Mixtur aus Thriller, Krimi und Abenteuerroman steckt eine knallharte Abrechnung mit dem Kapitalismus und seiner Gier.

Worum geht es?

1859 läuft aus dem britischen Hafen Hull der Walfänger "Volunteer" aus. Sein Ziel sind die letzten Wale im Nordmeer zwischen der Westküste Grönlands und Kanada. Die Mannschaft ist ein Haufen aus heruntergekommenen Männern und Jungen. Der Bodensatz der Gesellschaft, Glücksritter, jeder mit seinen ganz persönlichen Gründen, sich auf die gefährliche Reise ins Nordwasser zu wagen. Wegen des Geldes, der Lust am Töten, der Flucht vor den Behörden oder um einen enormen Versicherungsbetrug durchzuziehen. Die einst gewaltigen Walbestände trieb der Mensch innerhalb von nur 25 Jahren an den Rand der Ausrottung. Er hat die sanftmütigen Säuger im Wortsinn für seinen Fortschritt verbrannt – als Lampenöl.

Doch die Tage des Walfangs sind gezählt. Keineswegs aus der Einsicht heraus, schonender mit den Ressourcen umzugehen und schon gar nicht aus Mitleid mit den Kreaturen. Ein für die Menschen dieser Epoche geradezu absurder Gedanke. Nein, eine Entdeckung in den USA läutete das Ende ein. In nur 21 Meter Tiefe stieß man 1959 in Pennsylvania auf Erdöl. Auf der Suche nach Energie löste das Zeitalter der Erdölindustrie das der Walfangindustrie ab. Es sollte die letzte Fahrt des Segelschiffs "Volunteer" sein.

An Bord ist auch der Schiffsarzt Patrick Sumner. Durch ein Komplott unehrenhaft aus der Armee entlassen, betäubt er sein Trauma aus den Kämpfen in Indien mit Opium. Er ist ein Junkie, aber zumindest einer, mit einem Anflug von Gewissen verglichen mit seinen Mitreisenden.

Ian McGuire Nordwasser  Die ungekürzte Hörbuchfassung ist knapp zehn Stunden lang und ist zum Download bei Audible erhältlich.
Ian McGuire Nordwasser
Die ungekürzte Hörbuchfassung ist knapp zehn Stunden lang und ist zum Download bei Audible erhältlich.
© PR

Sein Gegenpol ist Henry Drax. Skrupellos und gierig will er jedes Bedürfnis sofort befriedigt wissen. Töten ist für ihn Schöpfung. Er genießt, wie er sagt, diese Macht, ein Leben zu beenden und es in etwas anderes zu transformieren. Gleich in den ersten Minuten des Hörbuches, noch ehe der Hörer begreift, wie ihm geschieht, begeht Drax zwei grausame Morde. Kapitän Brownlee verfolgt mit Schiffseigner Baxter auf der Reise Ziele, die nichts mit Walfang zu tun haben, aber das Leben aller an Bord betreffen. Diese Mischung lässt die Reise der "Volunteer" in einen brutalen Alptraum münden.

Wer spricht?

Wolfram Koch, Tatort-Fans als Kommissar Paul Brix bekannt, führt sehr souverän durch das Programm. Seine raue, markante Stimme passt perfekt zur harten Sprache des Buches. 

Wer schrieb es?

Ian McGuire unterrichtet Literatur an der Universität Manchester. Der 54 Jährige ist Experte für die englische Literatur des späten 19. Jahrhunderts und wuchs in Hull auf, dem einstigen Zentrum der britischen Walfangflotte. All das findet sich in jeder Zeile seines hyperrealistischen Romans wieder. Übersetzer Joachim Körber hat die starke Sprache großartig ins Deutsche übertragen.

Für wen geeignet?

"Nordwasser" ist Thriller, Historien- und Abenteuerroman und Krimi in einem. Die Sprache ist in ihrer nüchternen Klarheit geradezu brutal. Kein Stoff für empfindliche Gemüter. Bei Walfang mag man an "Mobby Dick" denken und sich Seefahrerromantik erhoffen. Doch davon ist "Nordwasser" weit entfernt. Das Töten der Wale, ihr Zerlegen, das stinkende Leben an Bord und die feine Ausarbeitung der Protagonisten verklärt nichts. Nie sind Formulierungen profan oder heischen nach Effekten. Mitunter fällt gar vor lauter Widerlichkeiten und der absoluten Desillusion der Figuren das Zuhören schwer. Doch der Sog der Geschichte ist so stark, dass der Hörer weiter hindurch gezogen wird, weil er wissen will, wie sich die Schicksale der Besatzung erfüllen.

Was nervt?

Ian McGuire lässt sich Zeit. Die erste Stunde weiß der Hörer nicht, wohin der Autor ihn führen will, wer die Protagonisten sind, welche Rolle sie spielen. Wer der Gute und wer der Böse ist. Eine etwas zu lange Durststrecke.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel