Auf so was kommt auch nur einer, der in Bildern denkt. Albert Watson, heute 81, eine Fotografenlegende mit großem Gedächtnis, erzählt von dem Tag vor 31 Jahren, als diese junge Britin an ihrem 19. Geburtstag in Marrakesch vor seiner Kamera saß. "Sie war", sagt er, "wie ein Vogel. So schmal und so kleine Knochen." Ein Mädchen, sagt er, "a girl", in dem das Leben immer neu zu beginnen schien und das ganz anders war als Cindy Crawford und Claudia Schiffer, die Watson auch fotografiert hatte. "Die waren mit 19 junge Frauen, Kate Moss war dieses 'girl', und sie blieb es auch."
Wenn jenes "girl" nun in der kommenden Woche 50 wird, ist das erst mal nur eine Geburtstagsmeldung. Andererseits ist es sehr viel mehr als das.
Denn die Blicke und die Erinnerungen gehen noch einmal zurück in die Jahre, in denen das Model Kate Moss die wohl meistfotografierte Frau der Welt war. Moss hatte außerdem – mehr als jede andere Vertreterin dieser früheren Supermodel-Gang – Stil, Geschmack und etwas, das man Attitude nennt, Haltung.
Kate Moss hat ihre Herkunft nie abgestreift
Sie besaß, sagt Albert Watson, mit 1,70 Meter Größe keine klassischen Modelmaße, dafür war sie zu klein, aber sie zeichnete etwas aus, das Watson "weight" nennt – und damit meint er nicht ihr Gewicht, sondern ihre Aura. Sie verströmte nicht bloß Macht oder Sex, sondern eine Eigenschaft, die der Mode gefehlt hatte, bis Kate Moss erschien: das Gefühl, dass Schönheit die Tiefe der Fläche ist, wie es der Dichter Friedrich Hebbel einmal formuliert hat. Bei Moss bestand die Schönheit nicht aus der Hülle, sondern aus dem Gedanken hinter der Hülle.
Hinzu kommt, dass Kate Moss ihre Herkunft nie abgestreift oder verleugnet hat. Sie kommt aus Croydon, früher eine grauhäusigen Schlafstadt im Süden Londons. Ihre Mutter verkaufte Haarpflege-Mittel, ihr Vater war Reisekaufmann, der später mal über sie sagte: "Ich würde nicht behaupten, dass sie sehr viel hübscher war als viele andere Mädchen aus Croydon. Vielleicht hat sie zufällig ein gewisses Etwas."
Supermodels, Partys, Freunde: Das Leben von Kate Moss in Bildern

Die junge Kate war auf der rotzigen Seite des Teenagerlebens, sie rauchte schon mit zehn, sie trank Bier, Wein, Wodka, und ihre Lehrer an der Riddlesdown Highschool prophezeiten ihr beim Schulabgang, dass sie wohl als Kassiererin bei Woolworth enden würde. Das prägte ihre Haltung, ihren Blick und ihre manchmal laute Stimme, was bei ihr nach außen zu einem "Fuck you"-Panzer verschmolz, im Inneren aber die Sehnsucht nach einem anderen Leben war.
Diese Dualität erspürte die Model-Agentin Sarah Doukas auf einem Flug von New York nach London, als sie die damals 14-jährige Kate in den Sitzreihen sah. Das schmale Mädchen passte nicht in die sich damals formierende Supermodel-Phalanx. Es wehte nicht, wenn Moss an einem vorbeiging, aber sie hatte etwas, das auch Watson bemerkte: Credibility, Glaubwürdigkeit.
Moss selbst sagte später einmal, dass sie nie daran gedacht habe, als Model zu arbeiten, sie habe es gehasst, privat fotografiert zu werden, und sie sei mit ihrem Körper nicht zufrieden gewesen.
Ein Rockstar-Model-Leben
Genau das waren die Qualitäten, die erst Sarah Doukas und bald immer mehr Fotografen, Magazine und später große Marken in ihr sahen. Sie war das Straßenmädchen aus der Vorstadt, und genau dort, bei den Millionen anderen Mädchen mit großen Träumen, würde sich alles verkaufen, was Kate Moss auf Fotos tragen, essen oder trinken sollte. Die Botschaft: Du kannst es auch in billigen Jeans, einem Secondhand-Top und einem Lippenstift aus dem Drogeriemarkt nach oben schaffen und du selbst bleiben. Eine Botschaft, die Crawford und Schiffer nie hatten.
Diese Botschaft zahlte sich aus. Nicht nur für Kate Moss, deren Vermögen heute auf etwa 70 Millionen Dollar geschätzt wird, sondern vor allem für die Fashion-Industrie. Es reichte damals nur ein Foto, auf dem Moss beim Glastonbury Festival in einer bestimmten Gummistiefel-Marke zu sehen war, und die Stiefel waren in ganz Großbritannien wochenlang ausverkauft. So war es mit allem, was Moss berührte. "Kein Mädchen in diesem Land geht aus der Tür, bevor es nicht weiß, was Kate Moss trägt, wenn sie aus dem Haus geht", sagte mal Sarah Mower, Korrespondentin der amerikanischen "Vogue".
Zu dieser Glaubwürdigkeit gehörte auch, dass Moss ihr Rockstar-Model-Leben exzessiv betrieb. Erst war sie lange mit dem Schauspieler Johnny Depp liiert, für den sie 2022 in dem Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard aussagte, Depp habe sie nie Treppen heruntergestoßen. Dann war sie ein paar Jahre die Freundin des Heroin-Rockers Pete Doherty, eine Amour fou. 2005 wurde sie in einem Tonstudio heimlich dabei gefilmt, wie sie eine weiße Substanz durch die Nase zog. Am nächsten Tag titelte die Zeitung "Cocaine Kate". Der Skandal war laut und heftig, aber kurz, denn nachdem sich viele ihrer Werbepartner von ihr getrennt hatten, hatte sie schon Monate später mehr Verträge als je zuvor. Kate Moss, "the unsinkable", die Unsinkbare, wie sie seitdem genannt wird.
Heute ist es ruhiger um Moss geworden. Sie arbeitet weiterhin als Model, aber auch als erfolgreiche Agentin. 2022 verbuchte die "Kate Moss Agency" mehr als zwei Millionen Pfund Honorarumsatz für ihre Models, zu denen auch Moss' Tochter Lila Grace, 21, sowie die Sängerin Rita Ora gehören. Kate Moss selbst spricht nur selten über sich selbst, sie hat den Panzer nie ganz abgelegt. Ein früher Satz bleibt in Erinnerung: "Ich kann nur sagen, dass die beste Rache mein Erfolg ist. Und je mehr mich alle sichtbar machen, je mehr sie mich fotografieren, um so unsichtbarer werde ich."
Der Fotograf Albert Watson, dessen frühe Kate-Bilder jetzt zusammen mit Werken von Ellen von Unwerth, Arthur Elgort und anderen in einer Moss-Ausstellung in Berlin zu sehen sind (Camera Work, vom 13.1. bis zum 17.2.), sagt abschließend, Moss sei zwar erwachsen geworden, aber auch der Vogel von einst geblieben.