Kunstsensation Verschollenes Meisterwerk von 1620 in Beirut wiederentdeckt

Das wiederentdeckte Bild "Hercules und Omphale" von Artemisia Gentileschi
Das wiederentdeckte Bild "Hercules und Omphale" von Artemisia Gentileschi
© J. Paul Getty Trust / Sursock Palace Collections, Beirut
Die italienische Malerin Artemisia Gentileschi gilt als eine der wenigen anerkannten Frauen in der Kunstszene des Barock. Ihre Werke bringen heute Millionenbeträge ein. Nun wurde unerwartet ein bisher verschollen geglaubtes Gemälde von wiederentdeckt.

Im August 2020 schockierte ein Unfall die Welt: In Beirut explodierte eine Lagerhalle mit Feuerwerkskörpern, 207 Menschen starben, mehr als 6000 wurden verletzt. Der Hafen und zahllose Häuser wurden zerstört. Die Bilder der Katastrophe gingen durch alle Medien und lösten große Betroffenheit aus. Neben zahlreichen anderen historischen Gebäuden war auch das Sursock-Museum, ein bedeutendes Kunstmuseum, von der Explosion betroffen – und der ihm gegenüberliegende Sursock-Palast, ein historisches Herrenhaus aus dem Jahr 1860. Bei den Aufräum- und Restaurierungsarbeiten dort fand man zahllose wertvolle Möbel und Kunstwerke. Eines davon stellte sich jedoch als ein ganz besonderes heraus.

Aus den Trümmern retteten die Arbeiter nämlich ein großformatiges, opulentes Ölgemälde, das mehr als 100 Jahre an einer der Wände des Herrenhauses gehangen hatte. Offenbar ohne, dass jemand wusste, um was für einen Schatz es sich wirklich dabei handelte. Das Bild zeigt die mythischen Gestalten Herkules und Omphale. Omphale ist eine ebenso mächtige wie betörende Königin, die den muskulösen Halbgott dazu verdonnert, in Frauenkleidern Wolle zu spinnen. Das Werk war relativ gut erhalten, allerdings war die Leinwand an einer Stelle gerissen.

Ein Meisterwerk in den Trümmern

Als das Ölgemälde in die USA gebracht wurde, um im J. Paul Getty-Museum sorgfältig restauriert zu werden, meldete sich ein Kunsthistoriker aus dem Libanon zu Wort, Gregory Buchakjian, der in den 90er Jahren die Bilder aus der Sammlung des Sursock-Palasts für seine Doktorarbeit untersuchen konnte. Damals hatte er die Vermutung aufgestellt, dass es sich bei "Hercules und Omphale" um ein Werk der berühmten italienischen Künstlerin Artemisia Gentileschi (1593–1654) handeln könnte. Deren eindrückliche Darstellung der biblischen Enthauptungsszene mit Judith und Holofernes ist den meisten Menschen bekannt, auch wenn sie Gentileschis Namen vielleicht nicht direkt zuordnen können.

Artemisia Gentileschi hat ein bewegtes Leben gelebt – als eine von sehr wenigen angesehenen Frauen in der Kunstszene der Renaissance. Als Kunstschülerin wurde sie von ihrem Lehrmeister Agostino Tassi vergewaltigt, woraufhin sie in vielen ihrer Werke Rache nehmen zu wollen schien. Oft finden sich Männerfiguren darauf in fatalen oder entwürdigenden Situationen wieder. Da würde auch der in Frauenkleider gezwungene Held Herkules gut ins Schema passen.

Die Experten sind sich einig

Der Verdacht des Kunsthistorikers wurde erst so spät publik, da seine Doktorarbeit damals nicht international publiziert wurde. Nun aber wies er seine Kollegen in der Kunstszene bei einer Konferenz darauf hin – und erntete von allen Seiten Zustimmung. Sheila Barker, eine der anerkanntesten Gentileschi-Expertinnen, ist begeistert über den Fund des Meisterwerks. Dadurch seien nun insgesamt 61 ihrer Bilder bekannt, freut sie sich. "Es gab bereits eine Menge möglicher Artemisia-Bilder, bei denen auf Zustimmung durch Kunstexperten und Händler gehofft wurde – und die fast immer mit Enttäuschungen endeten. Und jetzt kommt ausgerechnet aus diesem unerwarteten Teil der Welt, dieser Ecke des südlichen Mittelmeers, dieses überwältigende Beispiel der Genialität von Artemisia!"

Im kommenden Jahr soll das wiederentdeckte Meisterwerk im Getty-Museum in Los Angeles ausgestellt werden, anschließend kehrt es zurück nach Beirut, wo es ebenfalls im Museum aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll.

Quelle:   "The Art Newspaper"

wt

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