"Vera", stellt sie sich vor. Ohne Nachnamen, als seien wir gute Freunde und hätten uns nur schon lange nicht mehr gesehen. Stimmt ja auch irgendwie. Allerdings war unsere Freundschaft sehr einseitig. Damals, als sie noch Veruschka hieß und "die schönste Frau der Welt" war, begegnete sie einem überall: auf den Titelseiten von "Vogue" und "Life", auf den Laufstegen dieser Welt, sogar im Kino - im Kultfilm "Blow Up". Fotografen wie Helmut Newton, und Richard Avedon rissen sich um sie, Veruschka war das Topmodel der Siebziger Jahre: wunderschön und immer sofort zu erkennen an ihren weit auseinander stehenden Augen und ihren üppigen Lippen. Eine Frau zum Anhimmeln.
Irgendwann aber fiel ihr die Modewelt auf die Nerven. Sie wollte nicht mehr die kleine, niedliche, formbare Veruschka sein - und begann, sich selbst "anzumalen wie ein Tier". Ein wunderschönes, elegantes Tier natürlich: Veruschka als Tiger, Leopard, Salamander. Auch mal als Stein in der Landschaft, grau bepinselt, kaum zu erkennen, angepasst wie ein Chamäleon. Mit ihrem Partner Holger Trülzsch entwickelte sie die Körperbemalung zu einer eigenen Kunstform: Bodypainting.
Imposante 76 Jahre alt
Nun steht Vera in Berlin-Friedrichshain in diesem alten Pferdestall, der zum Kunsthaus umgebaut wurde und zeigt Fotos genau dieser Aktionen. Veruschka vor einer Holztür stehend, bemalt wie genau diese Tür. Veruschka im Wald, moosgrün geschminkt. Optisch verschwindet sie auf den Bildern. Die Schönste - unsichtbar. Dieses Spiel gefiel ihr. Damit befreite sie sich vom oberflächlichen Glanz der Modewelt.
Die schönste aller Frauen ist jetzt 76 Jahre alt und immer noch sehr imposant. Früher versteckte sie sich unter Schminke und Körperfarben. Heute will sie nichts mehr verstecken - weder ihre Falten noch ihre grauen Haare, und auch das kleine Hinken nicht. Nein, sie ist nicht mehr jung, aber das darf jeder sehen. Zwei Lesebrillen hängen an ihrem Hals - die eine getönt, die andere klar. Und wenn man sie überrumpelt, dann geraten ihr schon mal die Worte durcheinander. Wie neulich, als ein Interviewer sie im Fernsehen fragte, was sie denn so den ganzen Tag mache. "Ich vögele Futter" sagte sie - und musste dann selbst am lautesten lachen über ihren Versprecher.
"Sie hätten mir meine Freiheit genommen"
Den Namen Veruschka hat sie längst abgelegt. Zu niedlich, zu süß und überhaupt aus einer ganz anderen Welt. Jetzt ist sie wieder Vera Gottliebe Anna Gräfin von Lehndorff. Tochter des Grafen Heinrich von Lehndorff, der zu den Verschwörern des 20. Juli gehörte und 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Eine Künstlerin, die mit Asche malt und Videos in renommierten Berliner Galerien präsentiert.
"Deutschlands höchstbezahltes Model" hat man sie genannt. Ist sie reich? "Quatsch!", sagt Vera von Lehndorff. "Geld hat mich nie interessiert." Gut dotierte Werbe-Angebote wies sie zurück. Zum Bespiel für einen Wodka, der "Veruschka" heißen sollte. "Der Knebelvertrag hätte mir meine Freiheit genommen", sagt sie. Lieber lebt sie bescheiden in einer kleinen Wohnung in Berlin-Weißensee und malt.
Zu offiziellen Anlässen trägt sie gern extravagante Kopfbedeckungen im Stil von Ritterhelmen. Gern auch mal ein Visier, um allzu neugierige Blicke und Fotografenattacken abzuwehren. Denn die Leute gucken, so jemanden wie Vera von Lehndorff mit ihren 1,86 Metern Größe und ihrer immer noch makellosen Haltung bekommen sie selten zu sehen.
Das Leben als Langzeit-Performance
Veras Leben ist eine Art Langzeit-Performance. Immer geht es um Verwandlung: vom traurigen Kind zum strahlenden Model, vom Cover-Star zur eigenständigen Künstlerin, vom jungen Mädchen zur reifen Frau. Jetzt macht sie einfach weiter und guckt, wie ihr Körper sich verändert. Schönheitsoperationen kommen für sie nicht in Frage. Auf keinen Fall will sie aussehen wie diese Damen mit der straff nach hinten gespannten Haut. "Löwengesichter" nennt sie die - grauenhaft. Sie möchte sich "beim Altern zusehen" mit allem, was dazu gehört. In den Spiegel gucken und all die vergangenen Jahre darin erkennen. "Auch das kann sich gut anfühlen", sagt sie.
Stolz sein, nicht irgendwelchen Hirngespinsten hinterher rennen, mit hoch erhobenem Kopf durchs Leben gehen, auf sich selbst hören und einen eigenen Stil entwickeln:
Mädchen, die sich bei "Germany's Next Topmodel" bewerben, können einiges von ihr lernen. Eine zweite Vera von Lehndorff wird es trotzdem nie geben.
Die Ausstellung "Behind the Appearences" ist vom 12. September bis zum 31. Oktober in der Berliner Galerie Box Freiraum zu sehen.