Zugegeben, ich würde auch gern Imperator genannt werden. Das ist doch ein sehr schöner Spitzname. Als Mann, der langsam auf die 50 zugeht, nehme ich gern auch die Furcht der anderen mit, wenn es mit Bewunderung oder Liebe hapert. Furcht ist der traurige Fleischersatz von Liebe.
Leider bin ich weder weisungsbefugt noch stehe ich einem Unternehmen vor, ja, nicht einmal eine Assistentin habe ich, der ich nachts ein schwitziges "Noch wach?" schicken könnte. In keinem Organigramm bin ich zu finden. Hatte nie Gelegenheit, innerhalb einer betrieblichen Hierarchie meine Abwärtskompatibilität auszuleben.
Angeblich greifen nervöse Chefs dieser Tage wieder verstärkt zum Hörer, weil so ein direktes Telefonat bedeutend weniger Spuren hinterlässt, als eine SMS oder E-Mail es tun. Und die büroeigene Minibar wurde auch schon seit Tagen nicht mehr angerührt, seitdem es ein wenig aus der Mode gekommen ist, Mitarbeitende schon um elf mit einer Rotweinfahne anzuföhnen.
Die letzten Tage des publizistischen Patriarchats
In der Taktung, in der gerade leitende Öffentlichkeitsarbeiter (zu gendern ist hier nicht nötig) als Problembären entlarvt und gestürzt werden, möchte man annehmen, es herrsche derzeit so eine Art medialer Arabischer Frühling. Die letzten Tage des publizistischen Patriarchats. Schweres Beben auf dem Affenfelsen.
Döpfner, Reichelt, nun Til Schweiger.
Über Letzteren wurde im "Spiegel" gerade das Bild eines Tyrannen gezeichnet, der nicht nur die Promillegrenze übertreten haben soll. So kam es laut Bericht anscheinend zu einer Handgreiflichkeit, zu Einschüchterung und berserkerhaftem Gebaren zulasten geregelter Arbeitszeiten, Sicherheitsrichtlinien oder schlicht: eines würdevollen Miteinanders.
Schweiger soll am angsterfüllten Filmset folgerichtig nur Imperator genannt worden sein. Was eingedenk des von vielen Zeugen geschilderten mutmaßlichen Alkoholmissbrauchs auch eine verpasste Chance ist: Johnny Skywalker hätte es doch auch getan.
Nichts gegen die Rechercheleistung des "Spiegel", aber wer in den vergangenen Jahren mal den einen oder anderen öffentlichen Auftritt Schweigers verfolgt hat, wird mitbekommen haben, dass er nach der Mittagspause nur noch bedingt geschäftsfähig scheint.
Der "Spiegel", der an manchen Tagen von der "Bunte" auch nur noch schwer zu unterscheiden ist, skizziert hier einen Mann, der sich durch endlos lange Drehtage gerhardschrödert und, so liest es sich, von niemandem gestoppt werden konnte – oder sollte? Bei der verantwortlichen Filmfirma jedenfalls will niemand etwas Besonderes mitbekommen haben – und – zugegeben: Ein bisschen schwer zu verstehen war Schweiger auch schon nach dem Genuss einer Capri-Sonne.
Das viel größere Wunder ist doch: Wie konnten dem Mann trotz dieser massiven Beeinträchtigung noch solche Meisterwerke gelingen? Schweiger-Produktionen, so muss man annehmen, haben zuletzt den TÜV-Rheinland heftiger schockiert als Cineasten.
Es ist nicht mehr 1983
Dass all diese saftigen Dokumentationen ausgerechnet in dem Heft zu lesen sind, dessen Gründer schon auch mal betrunken über die Straße vorm Verlagsgebäude kroch oder Sekretärinnen im Bademantel empfing, entbehrt zumindest nicht einer gewissen Komik. Aber okay, das ist schon ein paar Jahrzehnte her.
Ist andererseits aber genau der Punkt: Wir erleben derzeit die große Rückabwicklung einer antiquierten Führungsphilosophie. Ein künstlerisches Kastensystem, von dessen Ende manche Männer gerade auf die harte Tour erfahren. Es ist nicht mehr 1983, und nicht jeder hat das Memo bekommen.
Dass diese Herrscher ihrer jeweiligen kleinen oder größeren Kommerzkalifate nun der Reihe nach vor das Volksgericht zitiert werden: Dürfen wir das als Beleg dafür nehmen, dass in der Kunst und im Journalismus niemand mehr hart im Nehmen ist? Entstehen Diamanten nicht erst unter Druck? Ja, sind es nicht hypersensible Zeiten, in denen Auszubildende nach erster Kritik heulend den Beruf abbrechen, dem sie sowieso höchstens vier Tage die Woche nachgehen wollten? Das hat doch früher auch keinen gestört!
Ehrlich gesagt tut mir Schweiger, der übrigens die Vorwürfe dementieren lässt, zuvorderst leid. Falls sie doch stimmen sollten: Es bleibt zu hoffen, dass es seinem Umfeld gelingt, ihn zurück in die Spur zu kriegen.
Warum hört man erst so spät von solchen Vorwürfen?
Dieses Schweige(r)kartell allerdings steht exemplarisch für ein systemisches Problem, das vermehrt auf die Realitäten der Neuzeit trifft.
Man kann nur mutmaßen, wie viele diese Entwicklungen mit später Genugtuung verfolgen. Wie viele Satisfaktion verspüren, die jahrelange Unterdrückung unter Berserkern erdulden mussten, die Kunst nicht von Können ableiten, sondern von Knechten.
Es müssen Zahlreiche sein, die den unwahrscheinlichen Tag gar nicht erwarten konnten, an dem es womöglich doch noch Gerechtigkeit gibt. Die geschwiegen haben aus wohl naheliegenden Gründen.
Ein bisschen Verwunderung darf aber auch darüber sein, dass niemand aus einer Position der Stärke heraus mal gesagt hat: Liebe Öffentlichkeit, hier läuft gewaltig was schief. Ich trete aus diesem System aus. Haben Sie das in den letzten Jahren viel vernommen? – Ich nicht.
Wenn wir uns die öffentlichen Äußerungen über Döpfner oder Schweiger vor Augen führen, ist es schon ein wenig bedauerlich, dass es so manchem Wegbegleiter erst am Ende der Wertschöpfungskette aufzufallen scheint, von wem er da eigentlich die Kohle kassiert hat.
Solange das Monster Eier legt, fragt keiner, was es zu fressen bekommt
Die Leserschaft registriert das zumeist mit wohligem Grusel: Ach, so sind die da drauf, ja? Dacht ich’s mir doch! Sex, Crime, Machtmissbrauch, Drogen, Alkohol. Freund und Feind sind klar konturiert, vor allem, wenn auch noch Sauron Springer mit drinhängt.
Diese Geschichten sind nicht nur juristisch von Interesse. Sie werden unglaublich gern gelesen, haben im Feuilleton plötzlich genauso ihren Platz wie im Nagelstudio. Hier kann jeder mitempfinden.
Logisch, dass die Zeitungen und Zeitschriften sich förmlich wund recherchieren, irgendein Geraune als Story hart zu kriegen, um irgendwann endlich doch noch den deutschen Harvey Weinstein zu präsentieren. Und wenn schon nicht richtig hart, dann zumindest, na ja, pochiert.
Sagen, was ist. Und was wohl so gewesen sein könnte. Publizistisch ist das eine Goldgrube. Dafür wird manchmal gearbeitet wie am Set von Schweiger: Im Rausch ist das erste Opfer die Genauigkeit.
Da draußen warten noch Hunderte solcher Geschichten von Chefs, die die geistig-moralische Wende nicht hinbekommen haben, da sie selbst diese Unternehmensunkultur so gelernt haben und in all ihrer -Beschränktheit nichts anderes kennen oder kennen wollen. Woher auch?
Sender, Shareholder, Filmfirmen lassen sie gewähren, solange sie profitabel sind. Solange das Monster Eier legt, fragt keiner, was es eigentlich zu fressen bekommt.
Und so sitzen sie heute noch in Jurysesseln und in Comedyshows oder fläzen sich auf den Bänken im Borchardt und können darauf vertrauen, dass sie in Sicherheit sind, solange mehr Geld reinkommt, als an Unverschämtheiten raus geht.
Mega.