Für Patrice scheint die Sache ganz einfach zu sein. Er nimmt die besten Worte, die ihm in den Sinn kommen, die schönste Melodie, die ihm einfällt und schreibt mal eben den großartigsten Song, den er schreiben kann. Lauscht man der ersten Single-Auskopplung aus Patrices neuem Album, könnte man meinen, der afrodeutsche Musiker habe in ein und demselben Lied ein Versprechen gegeben und es sofort eingelöst: "I take the best words that come to my mind / the nicest melody that I can find / I write the greatest song that I can write" heißt es in "Clouds", dem neuesten Song des 28-Jährigen.
Patrice Bart Williams wurde bekannt als die Stimme des deutschen Reggaes. Als einer, der etwas von einem modernen Bob Marley hatte. Doch es dauerte nicht lange bis sich Patrice auf seine afrikanischen Wurzeln besann und seinen jamaikanischen Riddims zeitgemäße Soul- und HipHop-Elementen beimischte. Genau zehn Jahre sind vergangen, seit er mit "Lions" berühmt wurde, einem Song, der irgendwo zwischen der Karibik und Nordrhein-Westfalen zu lokalisieren war. Nun ja, mit dem Lokalisieren ist das bei Patrice so eine Sache. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der aus Kerpen bei Köln stammende Musiker vom frühreifen Songschreiber zu einem vielseitigen Künstler, der die Sprache einer globalisierten Welt spricht und mit seinem vierten Album endgültig alle Genregrenzen aufgelöst hat.
"Free-Patri-Ation" ist Reggae, ist Funk, ist Folk
Bereits an den Alben "How Do You Call It?" (2002) und "Nile" (2005), seiner bisher erfolgreichsten Platte, die es in die Top Ten der deutschen Charts schaffte, war abzulesen, dass in Patrice alles andere als ein eindimensionaler Künstler steckt. Mit seinem neuen Album beweist er ein weiteres Mal, wie gut sich die verschiedenen Rhythmen, die in ihm leben, vereinen lassen - "Free-Patri-Ation" ist Reggae, ist Funk, ist afrikanischer Folk. Eine reife Leistung, denn so selbstverständlich wie die Stile nebeneinander existieren, kommt es einem an keiner Stelle vor, als wäre diese Vielfalt ein schlecht verknüpftes Flickwerk.
Es ist vielmehr als wolle Patrice einen mit seiner eindringlichen Stimme und seiner individuellen Musik auf eine Reise durch seine Welt entführen, auf eine Reise, die uns unter anderem nach Afrika bringt. Und als wäre das nicht schon eine großzügige Einladung, hat sich Patrice mit Seun Kuti, dem Sohn des berühmten nigerianischen Musikers Fela Kuti, und der deutschen Soulsängerin Ayo, seiner Lebensgefährtin, wunderbare Gäste ins Studio geholt.
"Ich sehe die Welt wieder mit Kinderaugen"
Fragt man Patrice, was ihn zu seinem Stil-Mix inspiriert, verweist er vor allem auf persönliche Begegnungen. Als Sohn musikbegeisterter Eltern kam Patrice früh in Kontakt mit afrikanischen Klängen, mit Jazz, Blues und Reggae. Seine Mutter, eine Deutsche, und sein Vater, ein Schriftsteller aus Sierra-Leone, der starb als Patrice elf Jahre alt war, nahmen ihren Sohn schon in jungen Jahren mit auf Ausstellungen und Konzerte. Ein guter Freund seines Vaters Gaston Bart-Williams war der amerikanische Bluesmusiker Champion Jack Dupree. "Für ein Kind kann so viel Kultur schon mal nervig sein", gibt Patrice im Gespräch mit stern.de zu und lacht, "aber ich glaube, dass ich das unterbewusst ganz stark aufgenommen habe und dass ich heute aus dem, was mir meine Eltern mitgegeben haben, schöpfe."
"Free-Patri-Ation"-Tour
stern.de präsentiert Patrices live-Tour durch Deutschland:
25.05.2008 München, Backstage
26.05.2008 Darmstadt, Centralstation
27.05.2008 Köln, Gloria
28.05.2008 Hamburg, Grünspan
29.05.2008 Erlangen, E-Werk
31.05.2008 Essen, Weststadthalle
Die vielleicht größte Inspirationsquelle ist jedoch der eigene Nachwuchs. Gemeinsam mit seiner Partnerin Ayo ("Down on My Knees") hat Patrice einen zweijährigen Sohn. Durch die Geburt von Nile, der im Sommer 2005 auf die Welt kam und so heißt wie Patrices drittes Album, habe er sich in eine neue Lebensphase begeben. "Ich glaube, alles was Nile mir gibt, schwingt in meiner Musik mit", sagt Patrice und seine großen braunen Augen leuchten. "Durch meinen Sohn sehe ich die Welt wieder mit Kinderaugen, nehme meine Umwelt anders wahr." Auf Spielplätzen spielen, albern sein, Cartoons gucken - dabei könne man das Leben schon mal neu entdecken - da schwärmt ein junger Vater, nicht der international erfolgreiche Musiker.
Pendeln zwischen Köln und New York
Es klingt fast so, als wäre es ein Kinderspiel, Familienglück und zwei Musikerkarrieren zu vereinbaren. Doch der sympathische Sänger spricht auch darüber, was es für ihn als jungen Vater zu bedenken gibt: Wo soll mein Kind groß werden? Wo bekommt es die beste Bildung? "Zum Glück ist die Welt so eng zusammengewachsen. Und Nile wächst zweisprachig auf - wir können also mit ihm überall hingehen", gibt sich Patrice optimistisch. Zusammen mit seiner Freundin und dem Sohn wohnt er momentan im New Yorker West Village. Während der Aufnahmen für sein neues Album war er jedoch häufig in Köln, denn dort hat er sich erst kürzlich ein eigenes Studio aufgebaut. "In den letzten zwei Jahren habe ich einen musikalischen Befreiungsakt durchgemacht", erklärt Patrice und rechtfertigt, warum es ihm schwer fallen würde, das Studio wieder aufzugeben. "Im Alter von 18 Jahren habe ich in meinen ersten Verträgen gesteckt, das ging dann eine ganze Weile so. 2006 habe ich mein eigenes Label gegründet und die Live-DVD 'Raw & Uncut' herausgebracht - das war eine richtige Aufräumaktion. Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie es ist, etwas Eigenes zu produzieren, habe gemerkt, was ich besser machen kann, aber auch was mir an Unterstützung fehlt."
Dass der Musiker inzwischen ein ziemlich gutes Gespür dafür hat, was mit wem gut umzusetzen ist, lässt sich an seinem vierten Studio-Album ablesen. An "Free-Patri-Ation" war kein Geringerer beteiligt als die Produzentenlegende Commissioner Gordon, der bereits mit Lauryn Hill, Joss Stone sowie Damian Marley zusammengearbeitet hat und bislang drei Grammys verliehen bekam. Für Patrice war es ein großer Segen, gemeinsam mit dem Amerikaner sein neues Album zu produzieren. "Aber nicht weil er so ein berühmter Mann ist", betont er, "sondern weil er mich und meine Musik wirklich verstanden hat. Wir haben uns toll ergänzt, gemeinsam Ideen entwickelt - ich sehe ihn mittlerweile als einen echten Freund."
Eine musikalische Unabhängigkeitserklärung
Patrices neues Album ist symbolträchtig. Der Titel "Free-Patri-Ation" ist mehr als nur ein Wortspiel, in dem auch sein Name steckt. Er beinhaltet den Hinweis auf die "Repatriation", die Bewegung befreiter Sklaven und ihre Rückkehr nach Afrika - ein für Patrice zentrales Thema. Aber auch musikalisch ist die Platte eine wahre Unabhängigkeitserklärung. Nicht zuletzt die Texte geben Aufschluss über die neuen Sichtweisen des Sängers. "Vieles hat sich früher außerhalb meines Blickwinkels befunden", reflektiert Patrice.
"Clouds" beispielsweise, die erste Single-Auskopplung aus dem neuen Album, handle davon, eine Person in einem anderen Licht zu sehen, sie überhaupt das erste Mal richtig wahrzunehmen. Patrice hält inne und fängt an, ein paar Zeilen aus dem Lied zu zitieren. Der Song "Praise His Name" kreist um das Thema Glaube. "Ob ich religiös bin? Ich will mit dem Song sagen, dass es im Leben nicht wichtig ist, wie man nun die Dinge benennt, an die man glaubt." Wieder ein paar Zeilen leisen Sprechgesangs. Und was ist wichtig? "Man sollte konstruktiv sein, seine Vorstellungen und Träume kreativ umsetzen - das ist meine Art von Religion."
Der Hunger nach dem perfekten Song
Ob "Clouds" wirklich das beste Lied ist, das Patrice je geschrieben hat, werden seine Fans schon selber entscheiden. Im Interview mit stern.de erklärt Patrice, ein Künstler habe immer den Hunger nach Weiterentwicklung, nach dem perfekten Song. "Ich hoffe jedoch, dass es diesen gar nicht gibt", gesteht er und verweist auf John Lennon. Auf die Frage nach seinem besten Song habe dieser immer geantwortet: "Mein bester Song? Das wird der nächste."