"Summer Jam"-Festival Warten auf Unity

Von Nadine Barth
Heute startet Europas größtes Reggaefestival zum 22. Mal. Seit Tagen campen die Fans schon am Fühlinger See - in der Nähe eines sozialen Brennpunktgebiets.

Schon ist der Countdown unter die magische Ein-Tages-Marke gerutscht. Seit Ende des letzten Summer Jams im Juli 2006 zählt die Uhr auf der Website www.summerjam.de rückwärts, ein eigens komponierter Song von Rastafahndung heizt die Ungeduld an. "Summerjam / is coming / oh gosh / you can see it comin’" intoniert etwa Kandiman, und Ephraim Juda rappt: "Lass uns gemeinsam gehen / Denn es ist Zeit für Unity / Ein Herz, ein Blut, ein Schicksal und ein Ziel / Auch dieses Jahr sind wir mit dabei / So wie die Liebe und die Polizei."

"Einfach nur in der Sonne sitzen und chillen"

Während im Fernsehen zurzeit der "Summer of Love" 1967 beschworen wird, mit Love & Peace & Flowerpower, zelebrieren die Reggaejünger ihren eigenen Liebessommer in der Endlosschleife. Statt an einer Strandbucht auf Jamaika eben in Köln, an der "Cologne Bay". "Ich will einfach nur in der Sonne sitzen und chillen", schreibt ein Mädchen im Jam Board, in dem nur "reggaestrierte Besucher" schreiben dürfen und in dem das ganze Jahr über diskutiert wird. Über das diesjährige Line-Up, über den besten Zeltplatz, über "Sinn und Unsinn". Und ob es ein Problem ist, "Shisha" auf dem Festival zu rauchen. Die Frage stellte ein User namens ShiShasmoka, der ohne seinen Fruchttabak nicht sein mag. Die anderen gaben Entwarnung, "no probs", keine Probleme, es gebe sogar ein marokkanisches Zelt, wo man Wasserpfeifen mit verschiedenen Geschmacksrichtungen ausleihen könne.

Dass möglichst nichts anderes auf dem Festival geraucht wird, darüber wacht die Polizei. Jedenfalls versucht sie es. An den Eingängen wird scharf kontrolliert, das Gelände mit seinen vielen Bäumen ist in steter Beobachtung, Zivilpolizisten mischen sich unter die Besucher. Natürlich ist es kein Geheimnis, dass in der Reggaeszene gerne mal ein Joint kreist. Die Veranstalter machen allerdings eindeutig klar, dass sie den Haschkonsum auf ihrem Festival nicht dulden. Auf der Website wird ausführlich erklärt, wie die rechtliche Situation ist. Im Programmheftchen steht: "Der Fühlinger See ist kein rechtsfreier Raum und ermittelte Personen erhalten Hausverbot!"

"Culture clash" der besonderen Art

Dennoch sind es einige Hundert Konsumentendelikte, die in den drei Tagen des Festivals jedes Jahr zusammenkommen. Die meisten Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt, alles unter 10 Gramm gilt für die Staatsanwaltschaft Köln als Eigenverbrauch und wird nicht weiter verfolgt. Ein größeres Problem stellen für die Polizei die zahlreichen Zelt-Diebstähle dar. So wird auch dieses Jahr der Schwerpunkt der Arbeit in die Nacht hinein verlegt, wenn es gilt, zusammen mit dem Sicherheitsdienst die entsprechenden Gruppen abzugreifen, die sich auf das Gelände schleichen wollen.

Als die Stadtväter in der Nachkriegszeit vor den Toren Kölns nach dem Bebauungsplan eine Ausdehnung nach Norden anvisierten, gaben sie ihr den vielversprechenden Namen "Neue Stadt". Nach den modernsten Erkenntnissen sollte eine zukunftsorientierte Arbeits- und Wohnstadt entstehen. Spatenstich war 1961, dementsprechend schnittig sehen viele Ecken aus, mit Betonbalkonen, Pressplatten und breiten Durchgängen. Das Bürozentrum wurde allerdings nie gebaut, es fehlte der Bedarf. In den 80er Jahren wurden viele Blöcke zu Sozialwohnungen umgewandelt, über ein Jahrzehnt lang war das Viertel eine der heißen Problemzonen der Stadt. Jugendgangs lieferten sich Schlägereien, Selbstmorde durch Hochhausstürze machten Schlagzeilen. Aus dieser Zeit hat Chorweiler seinen schlechten Ruf, gegen den es heute noch kämpft.

Mittlerweile ist das Viertel recht friedlich, es gibt mehr soziale Einrichtungen als im übrigen Köln, die meisten Häuser sind modernisiert, es herrscht eine freundliche, fast nachbarschaftliche Atmosphäre. Viele alteingesessene Bewohner lieben "ihr" Chorweiler, im "City Center", dem integrierten Einkaufszentrum, gibt es Modenschauen, Blumen-Ausstellungen und Kinderaktionstreffs. Hundert verschiedene Nationen zählt der Stadtteil, dennoch ist der jährliche Einfall der 20 bis 30.000 Festivalbesucher ein "culture clash" der besonderen Art.

"Summer Jam"

Das Festival findet vom 6. bis 8.7. 2007 am Fühlinger See in Köln statt. Tickets inklusive Camping kosten 90 Euro, ein Tagesticket nur für den Sonntag 50 Euro. An den drei Tagen werden Sean Paul, Gentleman, Sizzla, Beenie Man, T.O.K., Anthony B, The Roots, Ohrbooten, Blumentopf und viele andere Künstler auf der Bühne stehen.

Schlafsack, Isomatte und Jamaika-Fahne

Die meisten kommen mit der S-Bahn-Linie 11 vom Kölner Hauptbahnhof und stehen dann erst einmal etwas verloren an der Bushaltestelle, bis sie der Shuttle abholt oder sie sich entschließen, zu Fuß loszuziehen. Türkische Mütter mit Einkaufstüten huschen schnell vorbei, Rentner starren ungläubig, Kinder zeigen mit dem Finger auf die Dreadlocks, Mädchen mit bauchfreien Tops und Piercing kichern, und die Trinker am Kiosk lassen ein paar trockene Kommentare ab. Es ist eine selbstreferenzielle, kleinbürgerliche Welt, in der zwar multikulturell gelebt, das Summerjam-Motto "melting culture and style" aber nicht verstanden wird. Arbeitslosigkeit, Hartz IV und das alltägliche Überleben sind die Themen, nicht "One Love, One Nation, One Race, One Blood". Noch krasser wird es in den Vierteln, die sich an Chorweiler Richtung Park anschließen.

Zum See hin schrumpfen die Geschosse, wie eine abflachende Welle geht es nach Seeberg Nord und Seeberg Süd, fünf Stock, zwei Stock, bis zu den Einfamilienhäusern der Arbeiter, die seit 30 Jahren dort wohnen und deren Rasen gepflegter sind als auf einem Golfplatz. Die dunklen Dancehall-Bässe der Green Stage sind hier gut zu hören, und genau durch diese Viertel schieben die jungen Rastafaris nun ihre Einkaufswagen und Sackkarren. Beladen mit Schlafsack, Isomatten, Wasserflaschen und Bier, Bier, Bier.

Viele haben schon Dienstag und Mittwoch ihre Zelte aufgeschlagen, um sich die besten Plätze zu sichern - nah am Freibad, nah an der Festivalinsel und möglichst weit weg vom nächsten Dixie-Klo. Und da warten sie nun, im Stoßregen, mit Blick auf den See, der einst eine Kiesgrube war und mit dessen Schlamm Chorweiler gebaut wurde, und zählen die Stunden, die Minuten, bis zum großen Fest, sie haben die Jamaika-Fahne gehisst, überall grün, gelb, rot, Respekt, Toleranz und Unity. Um 15 Uhr ist es soweit, Jagga Bites Combo wird den Reggae-Reigen eröffnen, Summer Jam is coming, oh yeah...

PRODUKTE & TIPPS