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Per Klick politisch aktiv G20-Konzert: Tausche Haltung gegen Tickets!

Chris Martin gehört mit seinem Band Coldplay zu den Headlinern des Konzerts zum G-20-Gipfel
Chris Martin gehört mit seinem Band Coldplay zu den Headlinern des Konzerts zum G-20-Gipfel in Hamburg
© Andrew Cowie/EPA/DPA
Im Juli treten Stars wie Coldplay und Herbert Grönemeyer bei einem Konzert zum G20-Gipfel in Hamburg auf. Die Organisatoren locken mit Gratis-Tickets. Um diese zu ergattern, müssen Fans aber politisch aktiv werden. Genauer gesagt: Sie müssen so tun, als ob.

Wenn sich Popmusik und politisches Engagement vermengen, kann es schon mal peinlich werden. Wenn sich zum Beispiel ein Star wie Bono mit Präsidenten trifft, wird er dafür wahlweise belächelt oder beschimpft – vielleicht vorschnell, schließlich ist es nicht verwerflich, wenn Millionen U2-Fans durch den Geltungsdrang ihres Idols für globale Themen sensibilisiert werden, die sonst an ihnen vorbeigehen würden. So funktioniert auch der Ansatz des Global-Citizen-Konzerts anlässlich des G20-Gipfels im Juli in Hamburg. Allein: Die Umsetzung umweht ein Geschmäckle.

Für das Konzert gehen 20 Prozent der Karten als sogenannte VIP-Tickets für 229 Euro in den freien Verkauf. Die restlichen 9000 Tickets werden verlost. Der Kniff der Organisatoren: Wer Coldplay, Herbert Grönemeyer und Ellie Goulding am 6. Juli live in der Hansestadt erleben will, muss vorher bei Online-Aktionen politisch aktiv werden. Die erste Runde der Kampagne ist gerade angelaufen und läuft noch bis zum 17. April, zwei weitere Runden sind geplant.

Coldplay live in Hamburg: Tausende wollen dabei sein

Politisch aktiv werden heißt im Fall von Global Citizen: Sich für Bildung, Gesundheit und Gleichstellung der Geschlechter "stark machen", indem man Petitionen unterschreibt, Mails und Sprachnachrichten an Politiker verschickt. Klingt erstmal ehrenwert. Das Problem: Die insgesamt fünf Aktionen sind vorgegeben, sie sind keine Vorschläge, sondern Mitmachpflicht. Es gibt keine Möglichkeit der Vernetzung mit anderen Aktivisten. Und wer zu faul ist, eine eigene Message zu formulieren, kann mit einem Klick auf einen vorgefertigten Text zurückgreifen. Um in die Lostrommel zu gelangen, müssen die Fans also streng genommen gar nicht politisch aktiv werden. Sie müssen nur so tun, als ob.

"Wir haben phänomenale Rückmeldung von Tausenden aus ganz Deutschland erhalten", sagt Caroline Albrecht von der Organisation Global Citizen. Dass Engagement im Jahr 2017 nicht über Inhalte, sondern über "coole" Event-Köder funktioniert, ist auch wenig überraschend. Fragwürdig bleibt aber, was mit den Daten passiert und ob sie womöglich weiterverkauft werden. So ist es zum Beispiel Pflicht, für die Sprachnachricht zum Thema "Bildung" seine Telefonnummer zu hinterlassen. Dann ruft Global Citizen zurück und der politisch aktive Popfan kann seine Nachricht auf Band sprechen. Auch hier gibt es einen Mustertext, den er aufsagen kann, wenn ihm selbst nichts einfällt.

Wie die Aktion wirklich Wucht entwickeln könnte

Dabei hätte die Aktion Potenzial. Warum lassen die Veranstalter den Teilnehmern an der Verlosung nicht freie Hand bei der Wahl des Themas, für das sie sich engagieren wollen? Global Citizen könnte Vorschläge statt Vorschriften machen. Nicht dass die betreffenden Aktionen schlecht sind: Es spricht nichts dagegen, einen Tweet an den kanadischen Premierminister zu schicken, damit er die versprochenen 150 Millionen Dollar für die Bekämpfung von Polio locker macht; oder die vier größten Parteien in Deutschland aufzufordern, sich im Wahlkampf zu Fragen weltweiter Armut zu positionieren. Nur wird den Teilnehmern auf diese Weise automatisch die eigene Initiative, um die es doch eigentlich gehen müsste, abgenommen. Und ob Justin Trudeau ausgerechnet auf die Tweets Tausender Grönemeyer-Fans reagieren und den Geldbeutel öffnen wird, ist doch mehr als fraglich. Erst recht, wenn er weiß, welche Ambition wirklich dahintersteckt.

Außerdem machen die Veranstalter es den Fans von Coldplay & Co. zu leicht: Wer sich mit wenigen Klicks bloß in riesige Online-Register einträgt und per Knopfdruck schnöde Standardmessages in den Äther jagt, wird darüber kaum politisches oder soziales Bewusstsein entwickeln. Weil es nicht erforderlich ist. Dabei wären genau diese passiven Polit-Aktivisten so leicht auszusortieren. Ohne sie könnte die Aktion vielleicht wirklich Wucht entwickeln. Weniger mit Masse, klar, dafür aber mit echten Botschaften.

Solange Global Citizen aber lieber auf so viele Unterzeichner wie möglich setzt, können kommerzielle Interessen kaum ausgeschlossen werden. Und die wären mit einer sozialen Organisation nicht vereinbar.

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