Schlager-Contest Beim Grand Prix 2003 war Folklore gefragt

Das bisher spannendsten Grand-Prix-Finale hat die in ihrer Heimat überaus populäre Türkin Sertab Erener gewonnen. Nie zuvor konnte die Türkei bei dem Schlagerwettbewerb den ersten Platz erreichen.

Die Nervosität vor dem Auftritt des russischen Mädchenduos t.A.T.u. dauerte bis zu Beginn ihrer Show in Riga. Schließlich hatte sich ihr Manager zuvor erkundigt, wie weit man gehen dürfe, und vorsichtshalber wurden Archivaufnahmen bereitgehalten, um sich von der Übertragung ausblenden zu können. Doch die beiden 18-Jährigen zogen sich nicht aus und verzichteten sogar auf die gewohnten lesbisch-erotischen Akzente. Zum ersten Platz, den die große Ziffer 1 auf den T-Shirts von Julia und Lena suggerierte, reichte es nicht ganz. Am Ende trennten die Teenager drei Punkte von der Siegerin.

Die Entscheidung fiel erst ganz am Schluss

Dazu wurde im bisher mit Abstand spannendsten Grand-Prix-Finale die in ihrer Heimat mit mehr als vier Millionen verkauften CDs überaus populäre Türkin Sertab Erener gewählt. Erst nach der allerletzten Punktvergabe aus Slowenien hatte sie ganz knapp mit zwei Punkten vor Belgien die Nase vorn. Und damit dürfte auch der Streit in der Türkei über die Frage beendet sein, ob es richtig war, dass die aus Istanbul kommende Sängerin ihr "Everway that I can" auf Englisch gesungen hat. Den ersten Platz hatte die Türkei bei dem Schlagerwettbewerb noch nie erreicht, ihr bisher bestes Abschneiden war 1997 ein Rang drei.

Interessante musikalische Mixtur

In der lettischen Hauptstadt gewann sie mit einer Mixtur aus rhythmischem Pop mit türkischen Folklore-Elementen, Blues-Einsprengseln und nahöstlich angehauchtem HipHop. Erener in ihrem zartrosa Fließrock mit langer, pinkfarbener Schleppe und eng taillierter grauer Korsage tanzte dabei zusammen mit ihrer bauchfreien Girls-Begleitband. Die Türkin ist ausgebildete Sängerin mit Koloratur-Sopran und ist schon zusammen mit Jose Carreras und Ricky Martin aufgetreten. "Es war sehr aufregend", gestand sie nach dem Sieg am Sonntagmorgen überglücklich.

Belgien bot keltische Folklore

Das kann man wohl sagen, denn das lange führende Belgien wurde erst ganz am Schluss noch auf den zweiten Platz verbannt. Die 2001 gegründete Gruppe Urban Trad brachte mit ihrem ganz auf keltischer Folklore basierenden "Sanomi" sicher den originellsten Beitrag auf die Bühne der eigens für den Event umgebauten Skonto-Halle in Riga. Mit Dudelsack, Geige, Flöte und Akkordeon unterlegt, sangen sie in einer erfundenen Kunstsprache. So umgingen sie auch geschickt den in Belgien traditionellen Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen.

Lou war enttäuscht

Bei den rund 150 Millionen Menschen, die den Song Contest am Fernsehschirm oder via Internet verfolgten und den Wettbewerb per Ted-Votum oder SMS entschieden, war diesmal Folkloristisches gefragt. Keine Chance auf den erhofften vorderen Platz hatte indes die deutsche Interpretin Lou mit dem fröhlich-schmissigen Ralph-Siegel-Song "Let's get happy". Sichtlich enttäuscht über den offiziell ausgewiesenen zwölften Platz sagte sie in einer Liveschaltung zu den fast 10.000 Fans bei der Open-Air-Party auf der Hamburger Reeperbahn: "Ich hätte gerne mehr für euch herausgeholt." Sie habe "alles gegeben". Und auch Grand-Prix-Rekordkomponist Siegel hatte Trost parat: Er sprach vom elften Platz, was insofern stimmt, dass das offiziell mit diesem Rang ausgewiesene Irland genau wie Deutschland 53 Punkte hatte. Und das sei ja gegenüber dem 21. Platz von 2002 immerhin um die Hälfte besser, sagte Siegel.

Zwei deutschsprachige Songs vor Lou

Allerdings landeten zwei ebenfalls ganz oder teilweise deutsch gesungene Beiträge in Riga deutlich weiter vorn: Der Komiker Alf Poier holte mit seinem ausdrücklich als "Anti-Eurovisions-Song" ausgewiesenen Klamauksong "Weil der Mensch zählt" überraschend den sechsten Platz. Und Siebter wurde die zuvor auch an der deutschen Vorausscheidung beteiligte Gruppe "Ich Troje" mit dem halb deutsch, halb polnisch gesungenen Versöhnungssong "Keine Grenzen". Völlig ohne Punkte blieb dagegen als einziges der 26 Teilnahmeländer am Samstagabend ausgerechnet das einst so erfolgreiche Großbritannien.

Als eines der einwohnerstärksten Grand-Prix-Nationen ist es ebenso wie Deutschland, Frankreich und Spanien aber auch fürs nächste Mal automatisch gesetzt. Viele andere Länder könnten 2004 in der Türkei bei der eigentlichen Entscheidung das Nachsehen haben: Im kommenden Jahr wird die Endausscheidung nämlich erstmals zweigeteilt. Nach der Qualifikationsrunde am ersten Tag bleiben dann für das Finale am zweiten Tag neben den Gesetzen nur noch zehn weitere Kandidaten übrig.

DPA

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